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Vollkostenrechnung/ Teilkostenrechnung


Inhaltsübersicht
I. Einführung
II. Grundlagen
III. Relevanz und Aussagefähigkeit
IV. Anwendung von Voll- und Teilkostenrechnungen in der Praxis

I. Einführung


Nach dem Inhalt der Kosteninformationen können Kostenrechnungssysteme durch eine Vielzahl von Merkmalen gekennzeichnet werden. Einem Bezugsobjekt (z.B. Kostenträger) können unterschiedlich abgegrenzte Kosten (Kostenkategorien) in verschiedenem Umfang zugerechnet werden. Rechnet man in einer Kostenrechnung (KR) die gesamten (vollen) Kosten einer Abrechnungsperiode den Bezugsobjekteinheiten zu, so wird das Kostenrechnungssystem als Vollkostenrechnung (VKR) bezeichnet. Wird den Bezugsobjekteinheiten nur ein Teil der gesamten Kosten bzw. nur eine bestimmte Kostenkategorie (z.B. Einzelkosten) zugerechnet, so spricht man von einer Teilkostenrechnung (TKR). Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Bezugsobjekte und Kostenkategorien haben sich in Bezug auf den Inhalt der Kosteninformationen in Theorie und Praxis verschiedene Ausgestaltungsformen der VKR und TKR herausgebildet. Neben der rein ermittlungsorientierten VKR auf Istkostenbasis, welche die Rechnungszwecke nur teilweise erfüllt, werden planungsorientierte Systeme der VKR eingesetzt, zu denen die starre Plankostenrechnung (vgl. Kilger, W./Pampel, J./Vikas, K.  2002, S. 48 ff.), das Activity-Based Costing (ABC) (vgl. Schweitzer, M./Küpper, H.-U.  2003, S. 358 ff.), einige Formen der Konstruktionsbegleitenden Kostenrechnung (vgl. Schweitzer, M./Küpper, H.-U.  2003, S. 324 ff.) und das Target Costing (vgl. Schweitzer, M./Küpper, H.-U.  2003, S. 697 ff.) sowie Lebenszykluskostenrechnungen (vgl. Ewert, R./Wagenhofer, A.  2005, S. 297 ff.) zählen. Die unterschiedlichen Systeme der TKR sind heute weitgehend planungsorientiert ausgelegt. Hierzu zählen die Grenzplankosten- und Deckungsbeitragsrechnung (GPKR) (Grenzplankostenrechnung; vgl. Kilger, W./Pampel, J./Vikas, K.  2002), die Relative Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung (REKR) (Relative Einzelkostenrechnung; vgl. Riebel, P.  1994), die Betriebsplankostenrechnung (BPKR) (vgl. Schweitzer, M./Küpper, H.-U.  2003, S. 382 ff.) und die Prozesskostenrechnung (PrKR) (vgl. Schweitzer, M./Küpper, H.-U.  2003, S. 345 ff.). Alle diese Systeme der TKR rechnen bestimmte Kostenkategorien (GPKR = beschäftigungsabhängige (-variable) Kosten, REKR = relative Einzelkosten, BPKR = einflussgrößenabhängige (-variable) Kosten, PrKR = leistungsmengenabhängige (-induzierte) Kosten) bestimmten Bezugsobjekten (GPKR = beschäftigungsorientierte Bezugsgrößen, letzlich Kostenträgereinheiten, REKR = Bezugsobjekte unterschiedlichster Art, BPKR = Kosteneinflussgrößen, PrKR = Teil-/Hauptprozesse, letztlich Kostenträgereinheiten) zu.
In der Praxis hat die Diskussion um die Aussagefähigkeit und Anwendbarkeit von Voll- und Teilkostenrechnungssystemen zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt (siehe IV.). Aus diesem Grunde werden heute in der Praxis zunehmend so genannte kombinierte oder parallele Teil- und Vollkostenrechnungssysteme eingesetzt. Obwohl die BPKR zwischen einflussgrößenabhängigen und -unabhängigen Kosten unterscheidet, ist ihre zentrale Zielgröße der Periodenerfolg, der die Gesamtkosten der Periode berücksichtigt. Insofern kann sie auch als VKR bezeichnet werden. Auch die REKR berücksichtigt letztlich die gesamten Kosten als Einzelkosten irgendeines Bezugsobjektes. Daher erübrigt sich auch bei ihr eine kombinierte bzw. parallele Teil- und Vollkostenrechnung. Werden, wie in der Praxis üblich, neben den leistungsmengeninduzierten (-abhängigen) Kosten letztlich auch die leistungsmengenneutralen (-unabhängigen) Kosten den Kostenträgern zugerechnet, so wird die PrKR zu einer VKR. Ergänzt man die reine GPKR durch eine VKR (eigentlich Fixkostenrechnung) zu einer parallelen (kombinierten) Grenz- und Vollplankostenrechnung, so müssen bereits in der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung „ sekundäre Fixkosten “ (Kilger, W./Pampel, J./Vikas, K.  2002, S. 364 ff.) bzw. „ tertiäre (Fix-) Kosten “ (Hoitsch, H.-J./Lingnau, V.  2004, S. 185 ff.) verrechnet werden, um letztlich, zwar deutlich getrennt von den beschäftigungsvariablen Kosten, auch die beschäftigungsfixen Kosten den Kostenträgern zurechnen zu können.
Zur folgenden Darstellung und Analyse sowie zum Vergleich von VKR und TKR sollen als Referenzsysteme hauptsächlich die starre Plankostenrechnung als reine VKR und die GPKR als reine TKR herangezogen werden, ohne dass auf eine detaillierte Darstellung dieser Systeme eingegangen wird.

II. Grundlagen


1. Rechnungszwecke


Ein Großteil der Informationen für betriebliche Entscheidungen stammt aus der Kostenrechnung. Um informationsverarbeitende betriebswirtschaftliche Entscheidungsprozesse umfassend zu unterstützen, unterscheidet man vier grundlegende Zwecke (Rechnungszwecke; auch Ziele oder Aufgaben genannt) der KR, die unter dem Zweck der Informationsversorgung zusammengefasst werden können: (1) Abbildung und Dokumentation, (2) Planung und (3) Kontrolle des Unternehmungsprozesses sowie (4) Verhaltenssteuerung von Führungskräften und Mitarbeitern im Unternehmungsprozess.
Abbildungs- und Dokumentationszweck erfordern eine VKR, auch der Kontrollzweck lässt sich nur durch den Vergleich der gesamten (vollen) Istkosten mit den gesamten (vollen) Plankosten einer Periode für eine Kostenstelle erfüllen. Kontrollrechnungen und Abweichungsanalysen haben auch eine große Bedeutung für den Zweck der Verhaltenssteuerung von Führungskräften und Mitarbeitern (vgl. Schweitzer, M./Küpper, H.-U.  2003, S. 31 ff.).
Der Planungszweck der KR (Informationsversorgung der Planung) dient der Entscheidungsvorbereitung. Unterteilt man, grob gesprochen, betriebliche Entscheidungen in langfristig orientierte strategisch-taktische Entscheidungen, die in der Regel mit einer Veränderung der Personal- und Sachkapazitäten, also des Potenzialfaktorbestandes verbunden sind, und kurzfristig orientierte operative Entscheidungen bei konstanten Kapazitäten bzw. konstantem Potenzialfaktorbestand, so ergibt sich die Entscheidungsrelevanz von VKR und TKR (fast) wie von selbst. Kapazitätsveränderungen bewirken Veränderungen der beschäftigungsunabhängigen (-fixen) Kosten einer Periode. Aus diesem Grunde kann nur eine VKR diese Kapazitätsveränderungen wertmäßig abbilden. Eine wesentliche Prämisse von Kostenrechnungssystemen besteht darin, dass die KR auf einen kurzfristigen Planungshorizont ausgelegt ist, innerhalb dessen keine Kapazitätsveränderungen angenommen werden. Zur Vorbereitung langfristig wirksamer strategisch-taktischer Entscheidungen wird die dynamische Investitionsrechnung eingesetzt, die eine genauere Abbildung der wertmäßigen Wirkungen erlaubt. In den letzten Jahren haben sich spezielle Ausgestaltungsformen der planungsorientierten VKR herausgebildet, die man als strategieorientierte Kostenrechnung oder Methoden des Kostenmanagements (z.B. PrKR, Lebenszykluskostenrechnung, Zielkostenmanagement) bezeichnet und die neben oder gemeinsam mit der Investitionsrechnung hier zum Einsatz kommen.
Die Vorbereitung kurzfristig orientierter operativer Entscheidungen bei konstanten Kapazitäten und sicheren Erwartungen erfordert eine TKR.

2. Umfang und Art der Kostenverrechnung


Kosten können nur geplant, erfasst und kontrolliert werden, wenn man sie auf Bezugsobjekte (z.B. Produkteinheit, Kostenstelle, Periode; Bezugsgrößen) bezieht, wobei der Ver-/Zurechnungsumfang besonders bedeutsam ist. In der VKR werden die gesamten Kosten einer Periode auf das Bezugsobjekt Kostenträgereinheit (Produkteinheit, Auftrag) zugerechnet. In einer vereinfachten und weiten Interpretation des Verursachungsprinzips (vgl. Hoitsch, H.-J./Lingnau, V.  2004, S. 60 ff.), nach dem Kosten den auf sie einwirkenden Einflussgrößen zuzurechnen sind, lassen sich die Einzelkosten direkt, die Gemeinkosten nur über die Kostenstellenrechnung oder Kostenprozessrechnung, teilweise unter Einsatz des Beanspruchungs- und Durchschnitts- bzw. Tragfähigkeitsprinzips (vgl. Hoitsch, H.-J./Lingnau, V.  2004, S. 65 ff.) den Kostenträgern zurechnen. Da Letztere häufig keine empirische oder entscheidungstheoretische Fundierung aufweisen, stellt die Zurechnung der Gemeinkosten in vielen Fällen nur eine mehr oder weniger willkürliche Schlüsselung dar.
In der TKR auf der Basis relativer Einzelkosten (REKR) werden alle Kosten einem bestimmten Bezugsobjekt nach dem Identitätsprinzip (Riebel, R.  1994, S. 75 ff.) direkt zugerechnet. Dies setzt mehrdimensionale Hierarchien von Bezugsobjekten voraus, die leistungsbezogen (Produkteinheit, -art, -gruppe, -bereich, -programm), räumlich-organisatorisch (Arbeitsplatz, Kostenstelle, Abteilung, Werk, Unternehmung) und periodenbezogen (Tag, Woche, Monat, Quartal, Jahr) strukturiert sind. In einer solchen TKR unterscheidet man neben den Einzelkosten auch zwischen echten (einem Bezugsobjekt nicht direkt zurechenbaren) und unechten (= Einzelkosten einer hierarchisch untergeordneten Hierarchieebene) Gemeinkosten (vgl. Riebel, P.  1994, S. 760 und S. 768). In der REKR wird auf eine Schlüsselung nicht direkt zurechenbarer Kosten vollständig verzichtet.
In der TKR auf der Basis von beschäftigungsvariablen Kosten wird neben der Trennung aufgrund der Zurechenbarkeit in Form von (Kostenträger-) Einzel- und Gemeinkosten eine Trennung der Kosten im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von der wichtigsten Kosteneinflussgröße, der Beschäftigung, nach dem Verursachungsprinzip vorgenommen.
Die Einzelkosten sind damit beschäftigungsvariabel, die Gemeinkosten können beschäftigungsvariabel, beschäftigungsfix oder teils variabel, teils fix (Mischkosten) sein. Für Letztere muss eine Kostenauflösung vorgenommen werden (siehe II. 3.). Bei linearen Kostenfunktionen ergeben sich konstante variable (= proportionale) Kosten je Beschäftigungseinheit (z.B. Fertigungsstunde). Sie charakterisieren die Steigung der Gesamtkostenfunktion und können als erste Ableitung der Gesamtkostenfunktion und damit als Grenzkosten interpretiert werden. Da die hier angesprochene TKR von der Prämisse linearer Gesamtkostenverläufe ausgeht, wird dieses System auch als Grenzkostenrechnung (GPKR) bezeichnet. In dieser TKR werden somit die (Kostenträger-) Einzelkosten und die beschäftigungsvariablen Anteile der (Kostenträger-) Gemeinkosten nach dem Verursachungsprinzip dem Kostenträger zugerechnet.

3. Kostenauflösung


Zur Kostenauflösung (Kostenspaltung, Kostenzerlegung) der Mischkostenarten (vgl. Kilger, W./Pampel, J./Vikas, K.  2002, S. 266 ff.) können in der Istkostenrechnung das buchtechnische und mathematische Verfahren und in der Plankostenrechnung die planmäßige Kostenauflösung eingesetzt werden. Hier wird in jeder Kostenstelle für jede (Misch-Gemein-) Kostenart gesondert entschieden, welcher Anteil der vollen Kosten den beschäftigungsfixen und welcher den beschäftigungsvariablen Kosten planmäßig zuzurechnen ist. Dabei wird nicht darauf geachtet, wie sich die Kosten in Fortschreibung empirischer Kostenfunktionen aufgrund von Vergangenheitsdaten verhalten werden, sondern wie sie sich aufgrund unternehmerischer Entscheidungen in Zukunft verhalten sollen. Zur Ermittlung der beschäftigungsfixen Kosten wird im Rahmen eines Gedankenexperiments untersucht, welche Kosten weiterhin anfallen würden, wenn die Beschäftigung gerade auf „ null “ abgesunken wäre, die geplante Betriebsbereitschaft oder Kapazität der Kostenstelle aber unverändert aufrecht erhalten werden soll. Der Rest der für die Planbeschäftigung anfallenden vollen Plankosten wird den beschäftigungsvariablen Kosten zugerechnet. Da dieses Verfahren maßgeblich vom Fristigkeitsgrad der Kostenplanung und damit vom zugrunde gelegten Planungshorizont abhängt, sollte Letzterer sinnvollerweise mit dem Planungshorizont der operativen Planung und Kontrolle übereinstimmen, für welche die KR die Informationsversorgung übernimmt. Die Berücksichtigung unterschiedlicher Planungshorizonte und damit Fristigkeitsgrade hat zur Entwickung einer Dynamischen GPKR (vgl. Kilger, W./Pampel, J./Vikas, K.  2002, S. 82 ff.) geführt.

III. Relevanz und Aussagefähigkeit


1. Entscheidungsrelevanz von Vollund Teilkosteninformationen


Die KR eignet sich schwerpunktmäßig zur Vorbereitung operativer Entscheidungen (wie z.B. Break-even-Analyse, Programmplanung, Preisgrenzen-Bestimmung). Die Diskussion darüber, ob dabei Voll- oder Teilkosteninformationen als relevante Kosten (vgl. Kilger, W./Pampel, J./Vikas, K./Pampel, J./Vikas, K.  2002, S. 151 ff.) bereitgestellt werden sollen, begann bereits im 18. Jahrhundert und scheint bis heute noch nicht abgeschlossen zu sein. Es wird davon ausgegangen, dass auch kurzfristig orientierte operative Entscheidungen, ebenso wie langfristig orientierte strategisch-taktische Entscheidungen, dem gleichen übergeordneten und langfristig ausgerichteten Ziel der Unternehmenswertsteigerung und damit der Kapitalwertmaximierung dienen müssen (Investitionstheoretische Kostenrechnung; vgl. Schweitzer, M./Küpper, H.-U.  2003, S. 237 ff.). Die Ausgestaltung einer entscheidungsorientierten KR hat deshalb investitionszielkonform zu erfolgen (vgl. hierzu und im Folgenden Hanrath, S.  2000).
Unter der Annahme von Risikoneutralität der Entscheidungsträger kann nachgewiesen werden, dass zur Vorbereitung operativer Entscheidungen grundsätzlich nur eine TKR auf der Basis beschäftigungsvariabler Kosten (z.B. GPKR) relevante Kosteninformationen bereitstellen kann. Dies gilt sowohl bei einer einperiodigen als auch mehrperiodigen Betrachtungsweise und für alle generischen Marktformen (Monopol, Oligopol, vollständige Konkurrenz). Bei Risikoneutralität der Entscheidungsträger kann sich die zur Entscheidungsvorbereitung erforderliche Planungsrechnung auf die Erwartungswerte der zufallsabhängigen Parameter konzentrieren. Risikoaverse Entscheidungsträger bewerten eine Handlungsalternative jedoch nicht allein mit ihrem erwarteten Ergebnis, sodass ihre Risikoorientierung in das Entscheidungskalkül einfließen muss. Auch hier kann für alle generischen Marktformen und bei ein- und mehrperiodiger Betrachtung nachgewiesen werden, dass zur Vorbereitung operativer Entscheidungen ausschließlich eine TKR auf der Basis beschäftigungsvariabler Kosten die geeigneten relevanten Kosteninformationen zur Erzielung kapitalwertmaximierender Ergebnisse bereitstellen kann. Systeme der VKR, die neben den beschäftigungsvariablen Kosten (Grenzkosten) auch beschäftigungsunabhängige Kosten (Fixkosten) berücksichtigen, die nach dem Durchschnitts- bzw. Tragfähigkeitsprinzip den Kostenträgereinheiten zugerechnet werden, führen zu Verzerrungen bzw. zu Abweichungen vom kapitalwertmaximierenden Ergebnis.
Die Kontroverse zur Beurteilung „ neuerer “ Kostenrechnungssysteme (wie ABC, PrKR) und deren Einsatz zur Informationsversorgung operativer und strategisch-taktischer Planungsaufgaben hat das Thema der Entscheidungsrelevanz in der wissenschaftlichen Diskussion wieder reanimiert. Das Problem der Entscheidungsrelevanz von Voll- und Teilkosteninformationen liegt letztlich darin, dass die Konzeption insbesondere operativer, aber auch taktischer und strategischer Planungsrechnungen bis heute nicht vollständig geklärt ist.
In den bisherigen Untersuchungen zu diesem Thema wurden u.a. einfache Mehr-Perioden-Modelle ohne Berücksichtigung dynamischer Zusammenhänge (z.B. Erfahrungskurveneffekte, Diffusionsmodelle zur Nachfrageentwicklung) verwendet. Die Integration solcher Aspekte, z.B. mithilfe der Kontrolltheorie, könnte in Zukunft weitere Erkenntnisse über die Konzeption und Durchführung operativer Planungsrechnungen und deren Informationsversorgung aus der KR liefern.

2. Verhaltenssteuerungsrelevanz von Voll- und Teilkosteninformationen


Die oben behandelte Entscheidungsrelevanz von Voll- und Teilkosteninformationen hat die „ Richtigkeit “ und „ Genauigkeit “ der Informationsversorgung eigener Entscheidungen angesprochen. Zur Beeinflussung fremder Entscheidungen wird die Verhaltenssteuerungsrelevanz von Kosteninformationen und damit ein anderer Rechnungszweck der KR aufgegriffen, für den andere Regeln gelten. In der Literatur wird hier zwischen empirisch-induktiven verhaltenswissenschaftlichen und normativ-deduktiven informationsökonomischenAnsätzen unterschieden (vgl. Schweitzer, M./Küpper, H.-U.  2003, S. 584 ff.). Ein Problemfeld bildet in beiden Ansätzen die Berücksichtigung von Gemeinkosten zentraler Bereiche (z.B. Unternehmungsleitung, EDV, Rechnungswesen) in den Kostenvorgaben dezentraler Bereiche (z.B. Sparten). Die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze des Behavioral Accounting haben sich mit diesem Problem bislang nicht so intensiv auseinandergesetzt wie die Agency Theory.
Jedes planungsorientierte KR-System enthält für Kontrollzwecke auch eine Istkostenrechnung für den Plan- bzw. Soll-Ist-Vergleich. Vom Umfang der verrechneten Kosten dieser Kontrollrechnungen (vgl. Ewert, R./Wagenhofer, A.  2005, S. 311 ff.) her betrachtet, handelt es sich hier um eine VKR zur Verhaltensbeeinflussung von Kostenstellenleitern, bei der verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse des Behavioral Accounting allerdings kaum herangezogen werden. Sowohl Plankosten-(Vorgabe-)Informationen als auch die ermittelten Istkosten und Abweichungs-(Kontroll-) Informationen sollen beim Kostenstellenleiter einen Lernprozess zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Betriebsprozesses auslösen. Hauptproblem einer solchen KR ist die verantwortungs- bzw. beeinflussungsgerechte Zuordnung von Kostenabweichungen zu Kostenstellenleitern. Ein Beitrag zur Verhaltenssteuerung von dezentralen Entscheidungsträgern lässt sich dabei nur begrenzt nachweisen.
Die Modelle der Agency-Theory (vgl. Ewert, R./Wagenhofer, A.  2005) begründen häufig Argumente für eine Anwendung von Systemen der VKR oder TKR. So wird nachgewiesen, dass ein Verzicht auf eine Umlage zentraler Gemeinkosten auf dezentrale Bereiche zu einer Überbeanspruchung zentral bereitgestellter Leistungen führen kann. Über die bekannten Zurechnungsprinzipien der VKR (z.B. Durchschnitts- bzw. Tragfähigkeitsprinzip) lassen sich allerdings die beabsichtigten Steuerungswirkungen nicht erreichen. Man benötigt hier eher spezielle, an der betrachteten Situation orientierte Verfahren, als dass man pauschal eine Überlegenheit der VKR gegenüber der TKR konstatiert.
Andererseits wurde längst erkannt, dass eine Beschränkung auf die Grenzkosten bzw. Einzelkosten aus Systemen der TKR zu Verhaltenssteuerungszwecken nicht ausreicht. Zahlreiche Modelle zur Gemeinkostenzurechnung der Agency-Theory können als Konzept zur Vorgabe von  Deckungsbudgets oder Soll-Deckungsbeiträgen bzw. Verrechnungspreisen interpretiert werden. Eine generelle Vorteilhaftigkeit von Systemen der VKR zur Verhaltenssteuerung lässt sich auf diesem Wege nicht begründen. Allerdings liefern die kostenrechnerischen Analysen der Agency-Theory einen Ansatz zur Begründung für den nach wie vor beliebten Einsatz der VKR in der Praxis.

3. Aussagefähigkeit der Erfolgsgröße in Voll- und Teilkostenrechnungen


Planungsorientierte Systeme der VKR und TKR verwenden zur Planung, Ermittlung und Kontrolle des kurzfristigen Erfolgs meist das Umsatzkostenverfahren, bei dem in der Variante der Artikelerfolgsrechnung (vgl. Kilger, W./Pampel, J./Vikas, K.  2002, S. 526 ff.) im ersten Schritt die (Netto-)Erlöse pro Produkteinheit den (Selbst-)Kosten pro Produkteinheit gegenübergestellt werden. In der VKR werden die vollen Stückkosten von den vollen Stückerlösen subtrahiert und man erhält den (vollen) Stückerfolg. Da hier auch die beschäftigungsfixen Erlöse und Kosten auf die Produkt-(Kosten-/Erlösträger-) Einheiten mithilfe des Durchschnitts- bzw. Tragfähigkeitsprinzips verrechnet werden und damit das Verursachungsprinzip verletzt wird, ist die Aussagefähigkeit dieser Erfolgsgröße zur Informationsversorgung der operativen Planung und Kontrolle sowie zur Beurteilung des Erfolgsbeitrags von Produkten äußerst problematisch. Man könnte sie – mit Einschränkungen – als Indikator für eine längerfristig angelegte Analyse des Erfolgsbeitrags von Produktarten heranziehen. Allerdings müsste hierzu geprüft werden, ob dann eine Zurechnung von beschäftigungsfixen Gemeinkosten zu Produkteinheiten empirisch bzw. verrechnungszweckabhängig begründbar ist.
In der TKR werden nur die beschäftigungsvariablen Kosten (GPKR) bzw. die relativen Einzelkosten (REKR) pro Produkteinheit von den beschäftigungsvariablen Erlösen (GPKR) bzw. den relativen Einzelerlösen (REKR) pro Produkteinheit subtrahiert und ein Stückdeckungsbeitrag ermittelt, der zur Deckung der Fixkosten (GPKR) bzw. der Gemeinkosten (REKR) der Periode beitragen und darüber hinaus einen Beitrag zum Periodengewinn leisten soll. Da in der TKR die Zurechnung sowohl der Kosten als auch der Erlöse nach dem Verursachungs- bzw. Identitätsprinzip erfolgt, stellen die Stückdeckungsbeiträge relevante Informationen für operative Planungsrechnungen (z.B. operative Produktions- und Absatzprogrammplanung) dar. Sie charakterisieren auch die unmittelbaren Erfolgswirkungen der Produkteinheiten und eignen sich deshalb zur kurzfristigen produktbezogenen Erfolgsanalyse.
Eine einstufige Produkt-Deckungsbeitragsrechnung (Artikelergebnisrechnung) wird im zweiten Schritt zu einer Perioden-Deckungsbeitragsrechnung ausgebaut, indem die Stückdeckungsbeiträge mit den Absatzmengen der einzelnen Produktarten multipliziert werden. Durch Gegenüberstellung des Perioden-Deckungsbeitrags und der Perioden-Fix- bzw. -Gemeinkosten ergibt sich der kurzfristige Periodenerfolg (Betriebsergebnis).
Aufgrund mehrstufiger und mehrdimensionaler Bezugsobjekthierarchien ergeben sich in der TKR auf der Basis relativer Einzelkosten und -erlöse mehrstufige und mehrdimensionale  Deckungsbeitragsrechnungen (vgl. Riebel, P. 1994), die das Potenzial der Informationsversorgung von Planung (hier nicht nur kurzfristig-operativ, sondern auch mittelfristig-taktisch und langfristig-strategisch) und Kontrolle sowie der Analyse des Betriebsergebnisses erheblich erhöhen. In formal ähnlicher, jedoch inhaltlich völlig unterschiedlicher Form, lässt sich auch in der TKR auf Basis beschäftigungsvariabler Kosten und Erlöse durch Differenzierung des gesamten Fixkostenblocks der Periode in z.B. Produktarten-, Produktgruppen-, Produktprogrammfixkosten bzw. in Stellen-, Abteilungs-, Werks-, Bereichs-, Unternehmungsfixkosten eine mehrstufige und mehrdimensionale Deckungsbeitragsrechnung aufbauen (vgl. Kilger, W./Pampel, J./Vikas, K.  2002, S. 77 f.). Unter Berücksichtigung der Abbaufähigkeit bzw. Bindungsdauer beschäftigungsfixer Kosten liefert eine mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung nicht nur Informationen für die Absatz- und Produktionspolitik, sondern auch für die Investitionspolitik (z.B. Stilllegungsentscheidungen). Bei entsprechender Gliederung der Erlöse nach Erlösarten, -stellen (z.B. Absatzgebiete, Kundengruppen) und -trägern (Produktarten, -gruppen usw.) lässt sich eine solche Deckungsbeitragsrechnung zu einer Marktsegmentrechnung ausbauen. Mit Hilfe neuerer Data-Warehouse- und OLAP-Software wird damit eine Optimierung der Informationsversorgung erreicht (vgl. Blattmann, A./Schmitz, H.  2001, S. 13 ff.; Gabriel, R./Chamoni, P./Gluchowski, P.  2000, S. 74 ff.).

4. Dokumentationsrelevanz von Voll- und Teilkostenrechnungen


Neben der Abbildung und Ermittlung von Kosten sind die Informationen aus der KR im Hinblick auf ihren Dokumentationszweck noch relevant für die Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen mithilfe einer VKR (Kalkulation öffentlicher Aufträge) und für die Bestandsbewertung in der Bilanz. Zur Bewertung von fertigen und unfertigen Erzeugnissen sowie selbsterstellten Anlagen in der Handelsbilanz sind Herstellungskosten nach § 255 II und III HGB anzusetzen. Diese werden aus den Herstellkosten der KR abgeleitet, wobei nicht als Aufwand verrechnete primäre kalkulatorische Kosten zu eliminieren sind und statt dessen die entsprechenden neutralen Aufwendungen anzusetzen sind.

IV. Anwendung von Voll- und Teilkostenrechnungen in der Praxis


Ohne die Ergebnisse empirischer Untersuchungen der letzten Jahre interpretieren zu wollen (sie unterscheiden sich hinsichtlich der Stichproben, der Art der Fragestellungen, der Überprüfbarkeit der Unternehmensangaben usw.), scheint sich in der Praxis die reine TKR in ihren verschiedenen Ausprägungen trotz ihrer theoretischen Fundierung im Vergleich zur reinen VKR bzw. kombinierten (parallelen) Voll- und Teilkostenrechnung nicht durchgesetzt zu haben (vgl. Latzko, F.  2000). Während im deutschsprachigen Raum schätzungsweise nur ca. 10 % der Unternehmungen eine reine TKR einsetzen, belaufen sich die Schätzungen bezüglich einer reinen VKR auf über 50 %. Ein Trend zum verstärkten Einsatz einer kombinierten (parallelen) Voll- und Teilkostenrechnung (derzeit geschätzt ca. 40 %) ist – vorsichtig interpretiert – festzustellen.
Literatur:
Blattmann, Alexander/Schmitz, Hans : Multidimensionale Auswertungen im Controlling, in: KRP, Jg. 45, H. 1/2001, S. 13 – 21
Ewert, Ralf/Wagenhofer, Alfred : Interne Unternehmensrechnung, Berlin et al., 6. A., 2005
Gabriel, Roland/Chamoni, Peter/Gluchowski, Peter : Data Warehouse und OLAP – Analyseorientierte Informationssysteme für das Management, in: ZfbF, Jg. 52, 2000, S. 74 – 93
Hanrath, Stephanie : Investitionszielkonforme Kostenrechnung. Schnittstellenmanagement zwischen strategischer und operativer Planung, Wiesbaden 2000
Hoitsch, Hans-Jörg/Lingnau, Volker : Kosten- und Erlösrechnung. Eine controllingorientierte Einführung, Berlin et al., 5. A., 2004
Kilger, Wolfgang/Pampel, Jochen/Vikas, Kurt : Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung, Wiesbaden, 11. A., 2002
Latzko, Frank : Der Einfluß der Gestaltung der Kosten- und Ergebnisrechnung auf den Unternehmenserfolg, Frankfurt am Main 2000
Riebel, Paul : Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung. Grundfragen einer markt- und entscheidungsorientierten Unternehmensrechnung, Wiesbaden, 7. A., 1994
Schweitzer, Marcell/Küpper, Hans-Ulrich : Systeme der Kosten- und Erlösrechnung, München, 8. A., 2003

 

 


 

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