Zielgruppenmanagement
Inhaltsübersicht
I. Marketing für Zielgruppen
II. Bildung von Zielgruppen
III. Management unterschiedlicher Zielgruppen
IV. Herausforderungen im Zielgruppenmanagement
I. Marketing für Zielgruppen
Zielgruppen sind im Hinblick auf das Marketing abgegrenzte Kunden mit spezifischen Problemen und Bedürfnissen, die eine Unternehmung oder Institution differenziert, selektiv und rentabel bearbeiten oder managen will. Zwischen einem generellen und einem kundenzentrierten, individuellen Marketing gilt es zu optimieren und das Dilemma zwischen angestrebter Kundennähe und Wirtschaftlichkeit zu lösen.
Computer Integrated Marketing und Manufacturing verleiten bereits zur Vision eines wirtschaftlichen Customized Marketing (Meffert, H./Birkelbach, R. 1992). Jedoch sind viele Probleme noch ungelöst. Beispielsweise muss es gelingen, nahe beim Kunden zu differenzieren, sonst bleiben die Probleme der Distribution unüberwindlich.
Zwei Entwicklungen prägen das Marketing maßgeblich (Belz, C. 1993):
(1) Die Vielfalt der Angebote und der Nachfrage steigt. Zu erwähnen sind die Informationsflut, eine Sortimentsexplosion (Wildemann, H. 1990) und die steigende Zahl von Marken. Manche Kunden überborden mit ihren Ansprüchen. Einige Folgen sind: Preisdruck und analytische Verhandlungen, maßlose Forderungen (etwa Nebenleistungen, Gegengeschäfte, Forderungen nach unberechtigter Großzügigkeit bei Pannen), abnehmende Loyalität und Treue. Besonders die attraktiven Kunden sind sich ihrer Position bewusst. Die Kunden gewichten die relativen Vorteile, die sie durchsetzen können, und nicht die Gesamtleistung. Im industriellen Einkauf institutionalisieren wichtige Abnehmer ein strategisches \'Supply Management\', mit dem sie ihre Lieferanten stärker einbinden, ihre Leistungen kritischer bewerten und sie entsprechend klassifizieren und zunehmend selektionieren. In einem rigorosen Bereinigungsprozess halbieren Automobilkonzerne oder Unternehmungen wie ABB die Zahl ihrer Lieferanten. Aktuelle Stichworte lauten Global-, Single- und Modular-Sourcing.
(2) Auch als direkte Folge der Vielfalt sinkt der Grenznutzen des zusätzlichen Marketing-Budgets: Die Konkurrenten schaukeln sich gegenseitig auf und kompensieren dabei ihre steigenden Aufwendungen ohne Zusatzeffekte.
Kundenansprüche, fragmentierte Märkte und zahlreiche Konkurrenzangebote führen einerseits dazu, dass laufend neue Differenzierungsvorteile im Wettbewerb notwendig sind, andererseits explodieren die Kosten, vgl. Abb. 1.
Abb. 1: Vielfalt, Kosten und Differenzierung als Probleme für die Zielgruppenbildung
Es wird anspruchsvoll, sich im Angebot zu behaupten oder neu durchzusetzen. Es ist kaum möglich, die Kunden in Massenmärkten generell und einheitlich anzusprechen. Die Märkte oder Nutzenclaims sind immer feiner einzuteilen und differenzierter zu bearbeiten.
Ziele eines Zielgruppenmarketing sind:
Die Ziele für Zielgruppen gilt es situativ anzupassen. Marktführer oder fokussierte Nischenanbieter setzen andere Akzente. Ein Generalist, der den Gesamtmarkt nunmehr differenziert bearbeiten will, um seine Position zu sichern, unterscheidet sich von einem Anbieter, der selektiv die \'Zielgruppen-Rosinen\' des Marktes wählt. Ein Generalist mit innovativen Produkten für vielfältige Kunden arbeitet wirtschaftlich. Größenvorteile lassen sich ausschöpfen. Auch der Generalist bietet jedoch individuelle Kundenlösungen an. Er arbeitet auf den zwei Ebenen
1. | des generellen Angebotes und | 2. | des individuellen Abschlusses. |
Wird in einem Markt die Konkurrenz intensiver und steigen die Ansprüche des Kunden, weil dieser ohne Nachteile aus vielen Angeboten und Anbietern wählen kann, ergibt sich für den Generalisten ein immer höherer Aufwand in der individuellen Kundenbearbeitung. Es wird für den Generalisten laufend teurer, eine breite Kundschaft zu erreichen und zu binden. Zwar kostet es i.d.R. mehr, sich an Zielgruppen zu orientieren als nur generell anzubieten. Die Zielgruppenorientierung führt aber die zersplitterten Einzelaktivitäten für Kunden zusammen und steigert damit die Effizienz. So lässt sich das persönliche Kundengespräch durch Kundenschulungen oder Direct Marketing entlasten.
Die Kundenstruktur einer Unternehmung bestimmt das Wettbewerbspotenzial, lässt sich aber nur langsam verändern. Oft ist sie ein mehr oder minder zufälliges Ergebnis der bisherigen Marketing-Aktivitäten. Nur so ist zu erklären, dass 1993 der Marketing-Verantwortliche einer Schweizerischen Großbank bemerkte: Mit 80% unserer Retail-Kunden erwirtschaften wir einen negativen Deckungsbeitrag.
II. Bildung von Zielgruppen
Eine Kundenanalyse ist eine wichtige Grundlage, um Zielgruppen zu bilden. Manche Unternehmungen sind bisher kaum in der Lage, die Rentabilität und Zukunftschancen von Kundengruppen zu belegen. Herkömmliche Verteilungs- oder ABC-Analysen nach verschiedenen Kriterien lassen sich durch Kundenportfolio-Analysen nach den Dimensionen Kundenattraktivität und Wettbewerbsvorteile der eigenen Unternehmung ergänzen (Freter, H. 1992). Dabei werden die Kundengruppen nicht einfach nach \'gut\' und \'schlecht\' kategorisiert, vielmehr werden für jeden Bereich aus dem Blickwinkel der Kunden und der Unternehmung professionelle Lösungen erarbeitet.
Eine Klassifikation von Kunden genügt nicht für ein gezieltes Marketing. Besonders um Kunden individuell zu bearbeiten, etwa im Key Account Management oder Beziehungsmanagement (Belz, C. et al. 1994), gilt es, die Verhaltensweisen von einzelnen Beeinflussern und Entscheidern zu erheben und bisherige Leistungen und Erfahrungen der eigenen Unternehmung einzuschließen. Die entsprechenden Informationen sind im computergestützten Database-Marketing erfasst (Huldi, C. 1992).
Die Zielgruppen werden analog der Marktsegmentierung gebildet (Freter, H. 1993). Dafür sind die Trennvariablen zu erforschen und zu wählen, mögliche Kundengruppen zu bewerten, Anzahl und Struktur der Gruppen zu bestimmen sowie ihre Unterschiede und Zusammenhänge zu erfassen. Bereits wenige Variablen (z.B. Alter, Lebensstil, Wohnort, Einkommensklasse, spezifische Probleme) ergeben enorm viele, sinnvolle Kombinationen für Zielgruppen. Auf Anhieb nennen Marketing-Verantwortliche mehrere Zielgruppen, die sich besser bearbeiten lassen. Die Problematik besteht nicht darin, neue Zielgruppen zu finden, sondern sie auszuwählen und genügend Kraft aufzuwenden, um sie gezielt zu bearbeiten.
Es ist sinnvoll, eine Marktsegmentierung hierarchisch aufzubauen. Jede Zielgruppe steht dabei für eine spezifische Gruppe von Kunden, nach der das Marketing noch differenziert wird. Beispielsweise ist für Banken das Hauptsegment der Privaten (in Abgrenzung zu Unternehmungen und Institutionen) bedeutend, in ihm findet sich das Teilsegment der Jugendlichen (neben Führungskräften, Senioren usw.) und hier wiederum die Zielgruppe der Studenten. Vor kurzer Zeit stellten die Jugendlichen noch die Zielgruppe dar. Inzwischen differenzieren manche Banken noch stärker und konzentrieren sich bei Studenten auf ihre Hauptbankverbindung als Plattform für die zukünftige Zusammenarbeit.
Durch eine hierarchisch aufgebaute Segmentierung wird die Arbeit im Marketing-Mix vom generellen bis zum zielgruppenorientierten und individuellen Marketing aufgefächert (vgl. auch Abb. 2). Marktleistung, Preis, Marktbearbeitung und Distribution ergänzen sich modular, um so viel wie nötig zu differenzieren.
Abb. 2: Leistungs- und Kundensysteme
III. Management unterschiedlicher Zielgruppen
1. Leistungs- und Kundensysteme
Leistungs- und Kundensysteme sind die wichtigsten Reserven im Marketing (Belz, C. 1992). Der strategische Produkt/Markt-Entscheid einer Unternehmung ist damit erfasst. Leistungssysteme sind eine Antwort auf zunehmend auswechselbare Produkte, auf anspruchsvollere sowie mächtige Kunden und auf die intensive Konkurrenz mit einseitigem Preiswettbewerb in vielen Märkten. Leistungssysteme lösen die Probleme der Kunden umfassender als bisher und realisieren eine bessere Wertschöpfung der Unternehmung (Belz, C./Bircher, B. et al. 1991).
Ausgehend vom Produktkern lässt sich ein umfassendes Leistungssystem für Kunden entwickeln, vgl. Abb. 2.
Je weiter vom Kern des Produktes entfernt, desto spezifischer sind die Leistungen für Kundengruppen maßzuschneidern. Eine Leistungsdifferenzierung nach Zielgruppen ist dabei besonders wichtig. Sämtliche Marketing-Instrumente lassen sich differenzieren. Grundsätzlich ist eine Anreicherungsstrategie und eine Abmagerungsstrategie zu unterscheiden. Vielleicht gibt es in der Entwicklung einer Branche eine Pendelbewegung oder entgegengesetzte Konzepte, die zum Erfolg führen. Übertreiben viele Anbieter mit Zusatzleistungen, kann es sinnvoll sein, die Leistung auf ihren Kern zu konzentrieren. Typisches Beispiel ist Southwestern Airlines, die 1993 erfolgreichste USA-Fluggesellschaft. Sie verzichtet auf zahlreiche Dienstleistungen und führt nur eine Flugklasse, ist aber bezogen auf Pünktlichkeit, Gepäckabfertigung und Kundenzufriedenheit führend, weil sie im Preis-/Leistungsverhältnis die Kundenerwartungen übertrifft. Besonders in Dienstleistungsbranchen werden die wuchernden Zusatzleistungen für Kunden oft erst durch Ertragsprobleme gestoppt.
In einer empirischen Untersuchung 1992 bezeichneten die Führungskräfte folgende Bereiche einer innovativen Zusammenarbeit als besonders wichtig (Auswahl der wichtigsten Ansätze von 14 Vorgaben) (Belz, C. 1992):
1. | Kundenstamm-Marketing: Marketing für bestehende Kunden und Aufbau eines ertragreichen und zukunftsträchtigen Soll-Kundenstammes (Skala 1 – 5; Durchschnitt 4,15); | 2. | Schlüsselkunden- und Großkunden-Management: Spezifisches Marketing für aktuell oder potenziell bedeutende Schlüsselkunden der Unternehmung (4,14); | 3. | Vertrauensmarketing: Langfristige, zuverlässige Freundschaft und Leistungsbereitschaft einer Unternehmung, Marke oder von Teilleistungen zu den Kunden; Beziehungsmarketing (4,14); | 4. | Neue Kunden: Ansprache neuer Kundengruppen (4.08); | 5. | Segmentierung: Zunehmende Segmentierung des Marketing nach spezifischen Kundengruppen (4,08). |
2. Marketing für den Kundenstamm
Kundenstamm-Marketing richtet spezifische Leistungen der Unternehmung auf bestehende Kunden aus, um Beziehungen und geschäftliche Transaktionen mit ihnen fortzusetzen, zu erweitern oder zu vertiefen. Kundenstamm-Marketing stützt sich nicht nur auf permanente und periodische frühere Kunden, sondern strebt einen ertragreichen und zukunftsträchtigen Soll-Kundenstamm an.
Seit Jahren belegen Untersuchungen, dass es wirtschaftlicher ist, die Beziehungen mit bestehenden Kunden auszubauen, als neue Kunden zu akquirieren. Schätzungen zeigen, dass der Aufwand für Neukunden vier- bis sechsmal höher ausfällt. Jede Kundenflucht kommt eine Unternehmung teuer zu stehen (Reichheld, F. F./Sasser, W. E. 1991). Viele Unternehmer bezeichnen Kundenstamm-Marketing als eine entscheidende Reserve. Die Einsicht, bestehende Kunden besser pflegen zu müssen, ist jedoch erst ein Anfang. Der Kundenstamm ist keine homogene Masse. Die Aktivitäten der Praxis sind bisher bescheiden.
Erstens ist die Motivation von Unternehmungen für bestehende Kunden geringer. Zweitens scheuen sich Anbieter, die sich bisher auf Verkaufsabschlüsse konzentrierten, den Kunden aufwendig zu begleiten. Gelang es beispielsweise bei Versicherungen bisher, die Kunden mit Vertragsabschluss, Rechnungsstellung und Schadensregelung zu halten, so sind die geforderten Sales Cycles als professionelles und permanentes Management sämtlicher Kundenbeziehungen weit anspruchsvoller und aufwändiger. Die Zusammenhänge zeigt Abb. 3.
Abb. 3: Technokratische Abwicklung und Kundenbegleitung am Beispiel von Versicherungen (zum Sales Cycle vgl. Mauch, W. 1990)
Kundenstamm-Marketing ist hochgradig segmentiert, teilweise sogar individualisiert.
3. Key Account Management
Für viele Unternehmungen gilt eine 10/90-Regel, d.h. 10% der Kunden realisieren 90% des Umsatzes. Ohne Zweifel ist es entscheidend, diese wichtige Gruppe gezielt zu bearbeiten und auszubauen.
»Key Account Management im strategischen Sinne ist ein kundenindividuelles Marketingkonzept mit dem Ziel der Kundennähe und -bindung unter Nutzung aller Interaktionsebenen. Die Stoßrichtung einer solchen vertikalen Marketingstrategie liegt zunächst in der Rückgewinnung der Geschäftsinitiative, die in den 1970er-Jahren vielfach an den Handel (oder Großabnehmer) übergegangen war ? Offensichtlich fällt es vielen Unternehmungen schwer, in sich geschlossene und für die Key Accounts attraktive Konzepte zu schmieden, mit denen eine Profilierung im vertikalen Wettbewerb möglich ist ? Die Partnerschaftsstrategie ist in der Praxis oft beschworen, aber bisher im Vergleich dazu selten realisiert worden.« (Diller, H. 1993, S. 6 ff.).
Hauptziele des Key Account Management sind:
1. | bessere Berücksichtigung der Kundenwünsche, | 2. | Steigerung der Kundenzufriedenheit, | 3. | Ausweitung des Kundenumsatzes und | 4. | Stabilisierung der Geschäftsbeziehungen. |
Um diese Ziele zu erreichen, sind Sach- und Beziehungsleistungen gefordert. Die Funktion des Key Account Management ist je nach Kundenstrategie und Situation des Anbieters unterschiedlich. Die strategischen Optionen reichen von der Funktion der Frühwarnung bis zur strategischen Allianz, vgl. Abb. 4. Je anspruchsvoller und intensiver die Kundenbeziehung, desto eher ist es notwendig, das Key Account Management besonderen Spezialisten zu übertragen und es organisatorisch zu verankern. In einer längerfristigen Zusammenarbeit ist wichtig, dass Abnehmer und Anbieter einen weiten Zeithorizont einbeziehen. Die Überlegenheit einer Partnerschaft lässt sich oft nicht durch einzelne Transaktionen belegen.
Abb. 4: Strategische Optionen in der Gestaltung der Beziehungen zu Schlüsselkunden (Quelle: Belz, C./Senn, C. 1993)
Anbieter- und Abnehmerorganisation müssen sich in ihren Strukturen, Abläufen und Qualifikationen der Mitarbeiter entsprechen und ergänzen, um effektiv miteinander arbeiten zu können.
Zentrale Entscheidungsbereiche des Key Account Management sind:
- | Geschäftsbeziehung (Anbahnung, Betreuung, Vernetzung); | - | Projektmanagement für strategische Projekte (z.B. Ökologie, Logistik, Informatik usw.) und Entwicklungszusammenarbeit; | - | Leistungssysteme für Großkunden; | - | Informationssysteme. |
Zudem gilt es, das Marketing-Konzept für Key-Accounts zu konkretisieren.
Ein Sonderfall von Key Account Management sind Partnerschaftssysteme (Pabst, O. 1993). Sie erweitern die Zusammenarbeit von Lieferanten und vertikalen Partnern (z.B. Handel oder Vertretungen) oder Schlüsselkunden zu einer langfristigen, vertikalen Leistungsgemeinschaft. Gegenseitige Leistungen werden festgelegt und neu geteilt, teilweise – wie im Franchising und bei vertikaler Vertriebsbindung – vertraglich geregelt. Der Lieferant leistet einen Erfolgsbeitrag zur nachgelagerten Stufe. In Handelsstützpunkt-Systemen fassen Unternehmungen verschiedene leistungsfähige Partner zusammen, die speziell gepflegt, gefördert und unterstützt werden sollen, um sie an die Unternehmung zu binden. Die Intensität der Zusammenarbeit unterscheidet sich von der losen Zusammenarbeit bis zum »Anweisungsbetrieb«. Der mögliche Einfluss des Herstellers ist vielfältig: Grundsätzlich lässt sich die Arbeitsteilung für das gesamte Marketing des Handels neu festlegen. Partnerschaftssysteme und Franchising gewinnen auch im Bereich technischer Produkte und Investitionsgüter rasch an Bedeutung. Für Konsum- und Gebrauchsgüter nutzen Hersteller die Ansätze der Partnerschaftssysteme, weil die Produkte austauschbar und die Sortimente zu vielfältig werden. Ähnliche Tendenzen sind für manche technisch orientierten Branchen festzustellen. Mit Partnerschaftssystemen verlagert sich die Verwertung des Know-how für technische Leistungen mit Lizenzen auf Systematisierung und Vermarktung des Know-how für die Zusammenarbeit mit spezifischen Kundengruppen. Das Know-how für die Bedarfsanalyse des Kunden, die Entwicklungszusammenarbeit mit Kunden oder innovative Arbeitsteilungen werden wichtiger, um sich in umkämpften Märkten langfristige Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Partnerschaftssysteme in diesem Sinne verschmelzen dabei mit dem Ansatz für neue Leistungssysteme.
4. Kleinkundenmanagement
Kleinkundenmanagement richtet das Marketing-System auf die besonderen Ansprüche von Kleinabnehmern aus und steigert die Wirtschaftlichkeit der Bearbeitung. Unternehmungen suchen oft neue Lösungen für Kleinkunden, indem sie beispielsweise:
1. | ihre Leistungspalette für Kleinkunden ausweiten und damit auf eine breitere Basis stellen, | 2. | Leistungen für Kleinkunden standardisieren und Nebenleistungen konsequent berechnen (z.B. differenziert IBM preislich klar zwischen Beratungs- und Direktverkauf), | 3. | notwendige Serviceleistungen durch geeignete Produktkonzeptionen vermindern (eigener Service der Kunden, auswechselbare Module [bei Personal Copiers von Canon]), | 4. | Mindestbestellmengen heraufsetzen oder Kleinlieferungen preislich zusätzlich belasten, | 5. | vereinfachte Bestell- und Abrechnungssysteme einführen (z.B. aussagekräftige Produkt- und Anwendungsdokumentationen und -kataloge, Bezugsabonnements, Barverkauf, Monatsabrechnungen), | 6. | den persönlichen Verkauf weitgehend durch Direct- und Telefon-Marketing ersetzen, | 7. | Kleinaufträge bei Kooperationspartnern produzieren und ausführen lasen (unter eigenem oder fremdem Namen), | 8. | den Vertrieb mit Lieferanten von Ergänzungsleistungen zusammenlegen (beispielsweise zur Bearbeitung der Gastronomiekunden bei Biscuits), | 9. | gewerbliche Kleinkunden kombiniert mit Endkonsumenten ansprechen, | 10. | Kleinkunden im Versandhandel bedienen, | 11. | Kleinkunden durch den Großhandel, Einkaufsvereinigungen oder größere Kunden beliefern, | 12. | generell die Leistungsfähigkeit der Kunden steigern (Übernahme erhöhter Eigenleistungen durch Kunden, z.B. kommt der Kunde in Cash-and-Carry-Geschäften und im Direktverkauf zur Ware, und Professionalität für kleine Handelspartner) oder | 13. | Kleinkunden generell der Konkurrenz überlassen. |
Sämtliche Schweizerischen Großbanken restrukturieren ihr Kleinkunden-Geschäft. Die Verluste im Retail Banking wurden in der Schweiz für 1992 auf 3,4 Mrd. Schweizer Franken geschätzt. Für die Konkurrenz unerwünschte Kleinkunden können durch rationelle und gezielte Bearbeitung sowie neue Leistungen und eine geeignete Organisation der Unternehmung eine solide Basis für Unternehmungserfolge werden. Das Risiko bei Kleinkunden ist gestreut und die Wettbewerbsintensität in der Regel geringer. Problematisch sind Kleinkunden, die selbst nicht lebensfähig bleiben oder als Handelspartner versagen.
IV. Herausforderungen im Zielgruppenmanagement
Manche Unternehmungen zersplittern sich und betreiben ein »Passantenmarketing«. Sie erfüllen die Wünsche aller Kunden, die sich mehr oder weniger zufällig an sie richten. Nicht selten subventionieren zudem gute Kunden die schlechten. Unternehmungen verlieren damit die Leistungsfähigkeit für ihre tragenden Kundengruppen. Kundenvielfalt führt auch zu einer Zersplitterung in Produkten und Dienstleistungen.
Bisher dominierte für manche Unternehmungen eine Spezialisierung nach Produkten. Auch das Marketing ist häufig noch produktorientiert gegliedert und entspricht damit den Strukturen von Forschung und Entwicklung, Produktion und Beschaffung. Oft lässt sich die Spezialisierung für Produkte nicht bis zu den Kunden durchsetzen. Meist sind Filialen, Vertriebsstellen und Außendienst regional und nach Sprachen aufgeteilt und nicht so groß, dass sie zusätzlich nach Produkten spezialisieren können, d.h. Generalisten verfügen im Verkauf nicht über den notwendigen Tiefgang. Auch ihr Feedback vom Kunden oder formulierte Spezifikationen für Kundenlösungen entsprechen damit oft nicht den Erfordernissen der Technik. Verschärft wird diese Problematik, weil sich das Marketing nun stärker nach Kundengruppen differenziert. Qualitative, sprachliche und problembezogene Differenzierungen sowie Dienstleistungen gewinnen an Gewicht. Es wird damit zusätzlich schwieriger, die Schnittstellen zwischen Technik und Marketing zu bewältigen. Das Marketing erkennt zunehmend Synergien und Möglichkeiten des Cross Selling. Die Synergien für Kunden im Sinne von Gesamtlösungen lassen sich aber in der produktorientierten »Restorganisation« der Unternehmung nicht durchsetzen. Über das Marketing hinaus sind neue Formen der Projektorganisation für Kunden und Strukturanpassungen gefordert.
Organisation und Marketing-Schwerpunkte (beispielsweise Außendienst bei Versicherungen und Werbung bei Banken) prägen den Spielraum für innovative Segmentierungen maßgeblich. Soll beispielsweise eine Filialorganisation mit Hunderten von Außendienstmitarbeitern neue Segmente bearbeiten, trifft eine Umorientierung auf Widerstände und ist nur langfristig und mühsam durchzusetzen. Versicherungen setzten seit vielen Jahren auf die selbstständige Initiative des Außendienstes und von Agenten in der Kundenbearbeitung. Grenzen zeichnen sich ab, und die interne Durchsetzung neuer Marketing-Lösungen wird zum Engpass, weil sich die Mitarbeiter an der Front gegen Eingriffe der Zentrale wehren oder abschirmen. Eine innovative Segmentierung ist erstens davon abhängig, ob sie der Außendienst akzeptiert, zweitens, ob er neue Segmente in seinem Zeitbudget gewichtet, und drittens, ob er fähig ist, diese Segmente auch wirksam anzusprechen.
Kurzfristige Umsatzziele und Erfolge der Mitarbeiter widersprechen häufig der langfristig geplanten Kundenstruktur und werden klarer definiert und kontrolliert.
Es ist oft einfacher, neue Bereiche aufzubauen, als ein bisheriges Massenmarketing zu korrigieren oder auch neue Einteilungen des Marktes durchzusetzen. Diese Aussage gilt, wenn auch meist betont wird, wie risikoreich es ist, in neue Kunden-/Leistungsbereiche vorzustoßen.
In komplexen Organisationen dürfte es zielführend sein, nicht alle bestehenden Geschäfte umzuorganisieren. Im Zusammenhang mit Strategien der Ertragssteigerung sind selektive Segmentierungen ergiebiger. Für die Durchsetzung ist es förderlich, dass »an der Front« Pilotprojekte für spezifische Segmente gebildet werden. Erstens ist damit das segmentspezifische Vorgehen von einer Marktorganisation und nicht von einer Zentrale entwickelt. Zweitens lässt sich mit einer Multiplikation von erfolgreichen Pilotprojekten ein positiver Know-how- und Erfahrungskurveneffekt erreichen.
Es fehlt i.d.R. nicht an Ideen und Ansätzen für neue Dimensionen einer Segmentierung, die zusätzlich berücksichtigt, oder für neue Nischen, die besetzt werden sollten. Engpass sind nicht die Vorschläge, sondern der Konsens und die Realisierung. Bereits mit einem oder zwei Zielgruppenprogrammen pro Jahr oder mit einer zusätzlichen, einfachen Differenzierung sind Unternehmungen stark gefordert. Konzeptionell faszinierende, mehrdimensionale Segmentierungen funktionieren oft nicht.
Es lohnt sich, die Ansätze einer gezielten Bearbeitung von Kunden aufzugreifen. Auf den ersten Blick scheinen manche Ansätze sehr griffig. Auf den zweiten Blick sind dann Kundenstamm-, Groß- oder Kleinkundenmarketing plötzlich sehr schwierig zu bestimmen. Welche Vielfalt von unterschiedlichen Kunden wird zusammengefasst, selbst wenn wir nur eine Unternehmung in ihrem Markt betrachten! Für spezifische Anwendungen hilft die Literatur meist wenig.
Literatur:
Belz, C. : Untersuchungsergebnisse: Suchfelder für Marketinginnovationen, in: Berichte des Forschungsinstituts für Absatz und Handel (FAH) an der Hochschule St. Gallen, Nr. 1/1992
Belz, C. : Strategisches Kundenmarketing, in: Berichte des Forschungsinstituts für Absatz und Handel (FAH) an der Hochschule St. Gallen, Nr. 3/1993
Belz, C./Bircher, B. : Erfolgreiche Leistungssysteme, Stuttgart 1991
Belz, C./Brademann, E./Gessner, W. : Management von Geschäftsbeziehungen, St. Gallen 1994
Belz, C./Senn, C. : Kernprobleme und Reserven im Key Account Management, in: Thexis, Nr. 3/1993, S. 50 – 55
Diller, H. : Key Account Management: Alter Wein neuen Schläuchen?, in: Thexis, Nr. 3/1993, S. 6 – 17
Freter, H. : Marktsegmentierung, Stuttgart 1983
Freter, H. : Kunden-Portfolio-Analyse, in: Arbeitspapier der Universität Siegen, Siegen 1992
Huldi, C. : Data Base Marketing, St. Gallen 1992
Mauch, W. : Bessere Kundenkontakte dank Sales Cycle, in: Thexis, Nr. 1/1990, S. 15 – 18
Meffert, H./Birkelbach, R. : Customized Marketing, in: Thexis, Nr. 1/1992, S. 18 – 19
Pabst, O. : Vertikales Marketing in dynamischen Märkten, St. Gallen 1993
Reichheld, F. F./Sasser, W. E. : Zero Migration, in: Harvard Manager, Nr. 4/1991, S. 108 – 116
Tomczak, T./Belz, C. : Marketing und Kostenmanagement in der Rezession, in: Berichte des Forschungsinstituts für Absatz und Handel (FAH) an der Hochschule St. Gallen, Nr. 4/1993
Wildemann, H. : Variantenmanagement, in: Managementzeitschrift IO, Nr. 11/1990, S.
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