Direct Marketing
Inhaltsübersicht
I. Abgrenzung
II. Direct Marketing als Kommunikationsmethode
III. Direct Marketing als Distributionsmethode
IV. Direct Marketing als Organisationsschaubild
V. Funktionen und Marktbedeutung des Direct Marketing
VI. Anwendungen des Direct Marketing in verschiedenen Branchen
VII. Werbemittel und Medien des Direct Marketing
VIII. Zielgruppen im Direct Marketing
IX. Die zukünftige Entwicklung des Direct Marketing
I. Abgrenzung
Direct Marketing ist nach herrschender Meinung als Methode zu verstehen. Es handelt sich um eine schwerpunktartige Ausprägung des Marketing, die den direkten Kontakt zwischen den Marktpartnern auf der Angebots- und Nachfrageseite in den Mittelpunkt der Mehrheit aller operativen und strategischen Maßnahmen unternehmerischen Handelns stellt. Begriff und Anwendung gelten heute in Theorie und Praxis als etabliert. Es ist zweckmäßig, die Bestimmung der Trennkriterien zwischen Marketing und Direct Marketing nach Funktionen vorzunehmen. Daher soll bei der Ableitung der Definition des Direct Marketing zwischen den absatzpolitischen Funktionen »Kommunikation« und »Distribution« unterschieden werden. Das Direct Marketing berührt nämlich mindestens diese beiden Bereiche des absatzpolitischen Instrumentariums. In jüngster Zeit entstandene Bezeichnungen verdeutlichen zwar das Wesen der Direct-Marketing-Methodik (wie z.B. Dialog-Marketing, Direct-Response-Marketing, Relationship-Marketing, Consumer-Guided-Marketing), führen jedoch nur zur Verwirrung der Terminologie. Ziel dieses Beitrages ist zum einen die Herbeiführung einer klaren Begriffsbestimmung und Definition des Direct Marketing, zum anderen die Vermittlung seines aktuellen Entwicklungsstandes, seiner Voraussetzungen, Funktionen, Verfahren und Instrumente zur Lösung von Problemstellungen unterschiedlicher Einsatzbereiche. Dabei sollen die Anwendungen und Branchen besonders hervorgehoben werden, die eindeutig prädestiniert sind. Ebenfalls soll auf technische Voraussetzungen, die im Gegensatz zur Vergangenheit eine zunehmend wichtige Rolle für die weitere Entwicklung des Direct Marketing spielen, aber auch auf gestalterische Konsequenzen hingewiesen werden. Eine Vielzahl empirischer Untersuchungen belegt, dass eine Erfolgsabhängigkeit des Direct Marketing von Einflussfaktoren in folgender Prioritätsrangfolge feststellbar ist: Auswahl der geeigneten Zielgruppe, Art der Gestaltung der Kommunikationsaussage einschl. aller relevanten Faktoren (z.B. Art, Auswahl und Präsentation des Kommunikators, Dramaturgie der Kommunikationsaussage), Produkt bzw. Dienstleistung sowie Situation und Umfeld der Maßnahme.
Zu all diesen Bereichen soll im Folgenden Stellung bezogen werden. Wenn sich der Erfolg bzw. Misserfolg im Direct Marketing daran misst – und das ist die Überzeugung des Autors – , ob in genügendem Maße die Zielgruppe bestimmt wurde und die Problemlösung in genügendem Maße deren Bedürfnisse reflektiert, dann ist dies ein Wesensmerkmal des Direct Marketing, mit dem sich dieser Beitrag besonders auseinander zu setzen hat. Voraussetzung dafür wäre ein qualifiziertes Database-Management.
II. Direct Marketing als Kommunikationsmethode
Das Direct Marketing ist in erster Linie gekennzeichnet durch die direkte Kommunikation zwischen Marktpartnern. Die Erfolgswahrscheinlichkeit in der Marketing-Praxis scheint i.d.R. davon abzuhängen, wie gezielt die Kontaktaufnahme ausgeprägt ist und wie individuell die Gestaltung erfolgt. Der Idealfall wäre die formlose Kommunikationsbeziehung zwischen zwei Menschen, die dann persönlich (unvermittelt) wäre. Meist erfolgt sie jedoch bei Notwendigkeit großer Kontaktzahlen über ein Medium (z.B. Brief oder Telefax). »Bei der schriftlichen Ansprache sind die Bedingungen einer gezielten Einzelansprache dann erfüllt, wenn der Empfänger adressiert erreicht wird. Die Übermittlung erfolgt in diesem Fall in der Regel über die Post. Man spricht bei werblicher Zweckorientierung von Direct Mail, wenn man die Übermittlungsform, und von Mailing, wenn man die Aussendungseinheit meint« (Dallmer, H. 1991, S. 4). Ein Mailing besteht üblicherweise aus Werbebrief, Prospekt oder Katalog, Reaktionskarte und Versandhülle und kann ergänzt werden um weitere Bestandteile, wie z.B. Stuffer (kleiner Zusatzzettel) oder Gadget (aufmerksamkeitserregender Gegenstand). Wenn die Botschaft in Form eines solchen selbstständigen Werbemittels direkt und nicht mithilfe eines anderen Werbeträgers übermittelt und der Empfänger gezielt angesprochen wird, handelt es sich um Direktwerbung. Im Gegensatz zu dieser (relativen) Einzelkommunikation werden in der Praxis auch bestimmte schriftliche und mündliche Absprachen in Massenmedien (Massenkommunikation) der direkten Kommunikation zugeordnet. Dies ist dann der Fall, wenn eine Rückkopplung durch den Empfänger beabsichtigt und möglich ist. Dies setzt wiederum voraus, dass die Identität des Kommunikators via Adresse oder Telefon-Nr. bewusst preisgegeben wird. Darüber wird eine Kontaktaufnahme aus der Zielgruppe ermöglicht; die Absicht ist also das bewusste Herauslösen von bislang durch das Unternehmen nicht identifizierten Empfängern aus einer Zielgruppe; also jede Reaktionsform, bei der der interessierte Empfänger einer Werbebotschaft (auch) seine Anonymität aufgibt. Dadurch wird im Anschluss ein direkter persönlicher, individueller Dialog möglich, wobei man davon ausgehen kann, dass auf beiden Seiten Interesse für diesen Dialog vorliegt. Über eine stufenweise Betrachtung ist es somit möglich, auch typische Formen der Massenkommunikation dem Direct Marketing zuzuordnen (Beispiele: Coupon-Anzeige/Beilage/TV-Spot mit Telefon-Nr.). Aktivitäten dieser Art führten zu dem Begriff Direct-Response-Marketing, da die Ansprache über Massenmedien auf die Reaktion, auf Response abgestellt ist.
III. Direct Marketing als Distributionsmethode
Direct Marketing lässt sich auch in der Distribution anwenden, da nicht nur die Information den Empfänger direkt erreichen kann, sondern auch die Leistung. In der Distribution von Waren und Dienstleistungen sind mehrheitlich Handelsbetriebe zwischen Verbraucher und Produzent zwischengeschaltet. Wenn dieses nicht der Fall ist, spricht man von Direktvertrieb bzw. von Versandhandel. Das Angebot zur Inanspruchnahme der Direktbelieferung erfolgt i.d.R. über den Versandkatalog oder das Mailing, aber auch mithilfe von Reisenden bzw. Handelsvertretern sowie Verkaufsbüros bzw. Katalog-Show-rooms. Nach der Bestellung muss die Leistung dem Konsumenten/Verwender zugeführt werden. Die Leistung wird am Ort des Nachfragers erbracht. Man spricht auch von einem Distanzkauf (Vertreterversandhandel/Katalogversandhandel/Mailorder-Versandhandel). Direkte Marketing-Kommunikation bedingt keinen Direktvertrieb oder Distanzhandel, d.h., auch bei anderen Absatzmethoden kann man sich der direkten Kommunikation bedienen, während Direktvertrieb und Versandhandel ohne direkte Kommunikation nicht denkbar sind.
IV. Direct Marketing als Organisationsschaubild
Nachdem dargelegt wurde, dass Marketing-Maßnahmen sowohl in Bezug auf Kommunikation als auch auf Distribution direkten oder indirekten Charakter haben können, lässt sich folgende Definition des Direct Marketing festlegen:
»Direct Marketing umfasst alle Marktaktivitäten, die sich einstufiger (direkter) Kommunikation und/oder des Direktvertriebs bzw. des Versandhandels bedienen, um Zielgruppen in individueller Einzelansprache gezielt zu erreichen. Direct Marketing umfasst ferner solche marktgerichteten Aktivitäten, die sich mehrstufiger Kommunikation bedienen, um einen direkten, individuellen Kontakt herzustellen« (Dallmer, H. 1991, S. 6).
V. Funktionen und Marktbedeutung des Direct Marketing
Nicht zuletzt aufgrund der Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten und Bandbreite der Aufgaben, die sich mit Direct Marketing lösen lassen, hat seine Verbreitung in den letzten Jahren im Vergleich zum Einsatz anderer Marketing-Methoden und Medien überproportional zugenommen.
Im Folgenden wird auf Vorteile aufgrund der Art der Medien eingegangen (z.B. Testfähigkeit), die sicherlich ebenso zur Verbreitung beigetragen haben wie die Freiheit der Gestaltung der Kommunikationsaussagen im Vergleich zu anderen Medien. Die Medien des Direct Marketing sind weitgehend uneingeschränkt in Bezug auf Streuzeitpunkt, Umfang und Häufigkeit der Streuung. Auch die ex definitione zu unterstellende hohe Kongruenz zwischen den Interessensphären von Anbieter und Nachfrager, zumindest bei der in II. definierten Zweistufigkeit, legt einen hohen Wirkungsgrad nahe, ebenso wie der vielfach nachgewiesene hohe Aufmerksamkeitswert (Gerardi, A. 1974). Obwohl die meisten der im Folgenden genannten Funktionen auch von anderen Methoden des Marketing erfüllt werden können, gelten sie doch in besonders ausgeprägter Form für das Direct Marketing. Eine der weitest reichenden Auflistungen von Funktionen des Direct Marketing findet man bei Hodgson (Hodgson, R. 1974), wovon im Folgenden nur eine Konzentration auf jene Funktionen erfolgen soll, die in der Wirtschaftspraxis die häufigste Anwendung erfahren:
- | Direktverkauf; | - | Kundenbetreuung (Nachkaufbetreuung), Dialogfunktion, Kundenbindung; | - | Informationsvermittlung, Muster- bzw. Probenverteilung; | - | Gewinnung bzw. Rückgewinnung von Interessenten, Kunden, Absatzmittlern, Spendern; | - | Flankierung von Außendienst und übrigem Medieneinsatz (Vor-, Nachschaltung, begleitende Maßnahmen, Synergismus); | - | Unterstützung des Handels; | - | Gewinnung von Marktinformationen (Marktforschung) und Kunden-/Interessenten-Strukturinformationen; | - | Einladung zu Veranstaltungen (Messen, Seminaren, Verkaufsveranstaltungen). |
Im Jahr 2004 betrugen in Deutschland die Gesamtaufwendungen für Direct Marketing 32 Mrd. Euro (Zuwachs zum Vorjahr 4%). Die prognostizierten Gesamtaufwendungen für 2005: 32,5 Mrd. € . Zum Vergleich: Für Anzeigenwerbung wurden im Jahr 2004 13,0 Mrd. Euro ausgegeben (Platz 1 im Ranking der Medien). Auf Platz 2 liegen die Investitionen für adressierte Mailings (11,8 Mrd. Euro). In V., VI. und VII. sind die wesentlichen Gründe für diese Entwicklung abgeleitet.
Abb. 1: System des Direct Marketing (Quelle:Dallmer, H. 2002, S. 10)
VI. Anwendungen des Direct Marketing in verschiedenen Branchen
Die o.g. 32 Mrd. Euro Aufwendungen verteilen sich nach Stichprobenmessungen und Schätzung eines Direct Marketing-Dienstleistungs-Unternehmens wie folgt auf folgende Branchen (lt. Veröffentlichung AZ Direct Marketing Bertelsmann GmbH).
Abb. 2: Verteilung der Direct Marketing-Aufwendungen nach Branchen
Die in der Grafik aufgeführten Branchen sind auch die dominierenden Branchen in der Anwendung der Direct Marketing-Methode, wobei konventionelle Einsatzbereiche (Produktions- und Investitionsgüterindustrie, Pharmaindustrie, Versandhandel und Verlage) und »neue« Einsatzbereiche (stationärer Einzelhandel, Finanzdienstleistungsbereich einschl. Banken, Versicherungen und Bausparkassen, Touristik, Konsumgüterindustrie und der institutionelle Bereich einschl. Parteien, Verbände, Krankenkassen unterschieden werden. Die »konventionellen« Branchen nutzen Direct Marketing entweder ex definitione (Versandhandel) oder aufgrund der relativ unbeschränkten Gestaltungsbreite (Umfang der Aussage) wegen der expliziten Darstellungsmöglichkeit besonders erklärungsbedürftiger Produkte (Produktions- und Investitionsgüterindustrie) oder aufgrund vorhandener Databases bzw. großer Zielgruppenadäquanz zum Angebot (Pharmaindustrie/Verlage). Die Wirtschaftspraxis unterscheidet meist den Einsatz von Direct Marketing im Business-to-Business- vom Consumer-Bereich. Wenn im Business-to-Business Leistungen von Unternehmen an Unternehmen angeboten werden, erweist sich hier die Ermittlung der/des Einkaufsentscheider/s als Marketing-Problem. Dem Selling Center auf Seiten der Anbieter steht auf Seiten der Nachfrager das Buying Center gegenüber.
Abb. 3: Selling Center
Abb. 4: Buying Center
Häufig wird der Einfluss des Kommunikators auf die Wirkung direkter Marketing-Kommunikation unterschätzt, während die Kommunikationsforschung mit zahlreichen Beiträgen die entsprechenden Effekte nachgewiesen hat (Köhler, R. 1991). Es erweist sich je nach Aufgabenstellung als sinnvoll, den Kommunikator bewusst auszuwählen. So ist es durchaus von Bedeutung für den Erfolg einer Direct-Marketing-Kampagne, ob in einem Mailing das Unternehmen sich anonym präsentiert (ohne Erkennbarkeit einer Identifikationsperson) oder z.B. mit dem Inhaber/Geschäftsführer oder einem Spezialisten für das angebotene Gut als Briefautor. Genauso bedeutsam ist in der Business-to-Business-Kommunikation die Bestimmung der relevanten Zielpersonen. Nicht immer entscheidet der anwendende Bereich eines Unternehmens direkt über eine Investition. Häufig ist es die Geschäftsleitung, ein Komitee o.Ä. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Gatekeeper-Funktion der Chefsekretariate, die nur bestimmte Medien und Botschaften durchlassen. In der Praxis löst man diese Problematik entweder durch Tests bzw. durch zweistufige Aktionen, deren erste Stufe nur der Identifizierung der relevanten Zielgruppe im Unternehmen gilt. Direct-Marketing-Aktionen werden in der Investitions- und Produktionsgüterindustrie häufig zur Vor- bzw. Nachbereitung des Einsatzes von Außendienstmitarbeitern durchgeführt. In der Vorphase wird Direktwerbung eingesetzt, um Interessenten zu gewinnen (Leads/Leadsgenerierung) und dem Außendienst nur solche Adressen zur Verfügung zu stellen, die eine hohe Umwandlungsquote erwarten lassen. Der Versandhandel nutzt Direct Marketing ex definitione, d.h., Versandhandel ist ohne Direct Marketing nicht vorstellbar. In seiner klassischen Form, dem Verkauf per Katalog bzw. Mailing, erreicht der Versandhandel seit Jahren einen Anteil von ca. 5% des gesamten Handelsumsatzes. In jüngster Zeit erfolgte eine Reihe von Übernahmen eigenständiger Spezialversandhäuser durch Sortimentsversandhäuser, die diese Unternehmen selbstständig fortführen oder durch Spezialkataloge in das Gesamtsortiment eingliedern. Es kann als Trend bezeichnet werden, dass – ähnlich wie im Zeitschriftenmarkt – eine große Bandbreite von Special-Interest-Katalogen auf den Markt kommt. Dies entspricht einer Ausrichtung des Angebots (Zeitschriften) auf immer stärker segmentierte Zielgruppen. Der klassische Einzelhandel mit stationärem Geschäft erkennt nur langsam die Chancen des Direct Marketing. Als typische Kommunikationsform gilt hier immer noch die Zeitungsbeilage bzw. die Hausverteilung von Produktangebotsprospekten. Da diese üblicherweise unadressiert verteilt werden, handelt es sich nicht um Direct Marketing. Eine Veränderung dieses Kommunikationsverhaltens wird durch die zunehmende Verbreitung von Kundenkreditkarten (»Plastikgeld«) eintreten. Diese Karten, die vor allem der Kundenbindung dienen sollen, treten nicht nur in der Kreditform, sondern allgemein als Vorteilssysteme (»added value«) auf und sind mit der Existenz von Databases, der elektronischen Verwaltung von Kundendaten, verbunden. Das Unternehmen wird durch die automatische Zuordnung von Artikelgruppen, die von den Kunden gekauft werden, in die Lage versetzt, künftige Marketing- (jetzt Direct Marketing-)Maßnahmen abzuleiten. Als dritte Gruppe der konventionellen Anwender der Direct-Marketing-Methode sind die Verlage bezeichnet worden. Der Bezugspunkt zum Direct Marketing ist der i.d.R. bestehende Abonnentenstamm, über den durch objektorientierte Befragungsaktionen weitere Merkmale erhoben werden können. In die so konkretisierte Zielgruppe erfolgen Abonnentengewinnungsaktionen, die meist über »negative option« ausgeführt werden. Das bedeutet, dass das aufgrund des Mailing bestellte Probeabonnement so lange läuft, bis die ständige automatische Verlängerung durch Selbstinitiative des Abonnenten abgestellt wird. In die gleiche Branchenkategorie fallen auch die sog. Clubgeschäfte (Buch- und Schallplattenclubs), die die Mitglieder z.T. zur zeitbezogenen Zwangsabnahme verpflichten, andererseits attraktive Niedrigpreisangebote offerieren. Zu den neu hinzugekommenen Branchen des Direct Marketing zählen die Unternehmen des Finanzdienstleistungs- und Kreditbereiches. Viele Unternehmen aus dem Versicherungs- und Geldanlagebereich nutzen die Möglichkeit anstelle oder in Ergänzung des Außendienstes, Kunden preiswerter zu gewinnen und zu betreuen als dies mit konventionellen Methoden möglich wäre. Üblicherweise führt man hier sog. Cross Selling durch, d.h., dem einmal gewonnen Kunden einer Sparte (z.B. Unfallversicherung) wird unter Ausnutzung des Kompetenz- und Treueeffektes über Direct Marketing das Angebot gemacht, in einer weiteren Sparte (z.B. Krankenversicherung) ebenfalls Kunde zu werden. Dies ist umso leichter, als man weitere Zielgruppenmerkmale aus der existenten Database vorliegen hat, um entsprechende individuelle Angebote machen zu können. Auch der Bankensektor nutzt zunehmend die Vorteile dieser gezielten Zielgruppenansprache, insb. unter Zuhilfenahme des soziodemografischen Merkmals »Alter« (z.B. Angebote an Auszubildende). In jüngster Zeit erkannte die Markenartikel- bzw. Konsumgüterindustrie die erfolgversprechenden Wirkungsmechanismen des Direct Marketing, vor allem als Antwort auf die zunehmenden Werbeverbote für bestimmte Produkte in bestimmten Medien, aber auch als Methode der Kundenbindung. Ähnlich wie in der Kraftfahrzeugindustrie werden sog. Kundenkontaktprogramme durchgeführt, die z.B. mit Begrüßungsbriefen nach Erstkauf und Geburtstagsglückwünschen den Kontakt zum Kunden während der Nutzungszeit zu halten suchen. Dies geschieht in der Erkenntnis, dass es ökonomischer ist, den einmal gewonnenen – namentlich bekannten – Kunden zu halten, als einen neuen zu gewinnen. Dies führt auch zu Clubprogrammen, die bisher nur aus dem Buchvertriebsbereich bekannt waren. Im allgemeinen Dienstleistungsbereich erfährt das Direct Marketing eine sinnvolle Anwendung über Databases, z.B. werden in der Touristik Buchungsdaten erfasst und ausgewertet. Ähnliches gilt für Autoverleihunternehmen und Fluggesellschaften, wobei zunehmend Plastikkarten eingesetzt werden, um Häufignutzer bewerten zu können (Vielfliegerprogramme). Als »Heavy-User-Bereich« gelten die Lotterieversender und Spendenmarketing-Organisationen. Dieser Bereich der Institutionen wird ergänzt um die politischen Parteien, die Direct Marketing im Rahmen von Kandidaten- und Wahlwerbung einsetzen.
VII. Werbemittel und Medien des Direct Marketing
Entsprechend der Definition des Direct Marketing gibt es breit streuende Medien der Massenkommunikation und gezielte Medien der Individualkommunikation im Direct Marketing (Mayer, C. 1975). Werbemittel im Rahmen der ersten Kategorie sind z.B. Coupon-Anzeigen und -Beihefter, Beilagen, Beihefter in Zeitschriften und Zeitungen sowie Hörfunk und TV-Spots mit Induzierung einer Rückkopplung, z.B. über eingeblendete Adressen bzw. Telefon-Nummern. Für die entsprechenden Medien, vor allem bei Zeitschriften, wird häufig die relativ gleich bleibende Nutzer- bzw. Leserschaft, die nach bestimmten Merkmalen beschreibbar ist, als Vorteil geltend gemacht. Unstrittig sind die Kompetenz auf dem jeweiligen redaktionellen Sektor, die auf die Werbung ausstrahlen soll, und die vergleichsweise günstigen Kosten pro Kontakt mit der Leserschaft. Der Einsatz dieser Art von Medien eignet sich im Direct Marketing insbesondere dann, wenn kein genaues Bild über die Zielgruppe vorhanden ist bzw. wenn die Zielgruppe über Adressen nicht erreichbar ist.
Die Werbemittel und Medien der Individualkommunikation im Direct Marketing bieten eine Reihe von Eigenschaften, die häufig mit dem Direct Marketing im Allgemeinen gleichgestellt werden. Es sind dies im Wesentlichen das Mailing, das Telefonat (Telefonmarketing) und das Gespräch im Außendienst. In jüngster Zeit nimmt der Anteil der elektronischen Kommunikation überproportional zu. So sollen die Sortimentsversender heute bereits einen Bestelleingang von mehr als 50% aus Telefon- und Telefaxbestellungen und insbesondere Bestellungen über das Internet in der Gesamtstruktur aller Bestellmöglichkeiten registrieren. Hier sei jedoch auch auf die zunehmende Reaktanz der Verbraucher vor allem auf Telefon- und Telefaxwerbung hingewiesen. Hierbei muss jedoch zwischen »passiver« und »aktiver« Telekommunikation unterschieden werden (vgl. auch »Permission Marketing«). Im Gegensatz zu der aktiven Spielart überlässt man bei der passiven Variante dem Verbraucher die Initiative zur Kontaktaufnahme. Das Mailing besteht i.d.R. aus vier Teilen: dem Werbe- bzw. Angebotsbrief, dem Prospekt, der Antwort- bzw. Bestellkarte und der Versandhülle. Anstelle des Prospektes kann auch als wesentliches Medium der Angebotsdarstellung der Katalog treten. Häufig wird das »Package« ergänzt um weitere aufmerksamkeitserregende Medien wie »Stuffer« (Beilagezettel mit besonders wichtigem Hinweis) oder »Gadget« (aufgeklebter oder beigefügter Gegenstand). Auch Warenproben, Muster bzw. Modelle sind keine Seltenheit in der Kombination des Package. Die Medien der Individualkommunikation bieten eine Reihe von z.T. unikaten Vorteilen:
- | Zielbarkeit der Streuung; | - | weitgehend unbeschränkte Möglichkeiten in der Gestaltung, d.h. kaum Einschränkungen im Hinblick auf Art (Umfang, Inhalt, Gestaltung), Zeit und Ort des Medieneinsatzes; | - | Individualität der Ansprache; | - | umfeldfreie Wirkungsmöglichkeit des Werbemittels; | - | Vermittlung des Produkterlebnisses durch Proben und Warensendungen (multisensorische Ansprache); | - | Chance der Exklusivität der Ansprache (Möglichkeit der Anwendung von Fachsprache); | - | Möglichkeit zur spontanen, konkreten, direkt zurechenbaren Reaktion des Adressaten und damit | - | Möglichkeit zur eindeutigen Erfolgskontrolle und Testfähigkeit der Werbemittel; | - | im Gegensatz zu den »flüchtigen« Medien (z.B. TV-Spot) die Chance der Aufbewahrungs- und wiederholten Nutzungsmöglichkeit durch den Verbraucher und schließlich | - | durch die Variabilität der Einsatzmöglichkeit die Synergismuschance, d.h. der Einsatz im Rahmen der integrierten Kommunikation. |
Wie mehrfach erwähnt, liegt in der Möglichkeit der direkten Zuordnung des Erfolges zu Veränderungen von Faktoren der Gestaltung im Direct Marketing einer der bedeutendsten Vorteile dieser Marketing-Methode. Hierzu bieten im Vergleich die Medien der indirekten Kommunikation im Wesentlichen nur indirekte Messmethoden (z.B. Befragung von Zielgruppen). So lässt sich z.B. beim Einsatz von Direct Mail über Stichproben der Einfluss eines Testfaktors auf den Erfolg der Aktion durch eine authentische Response-Analyse direkt messen. Folgende sechs Einflussfaktoren auf den Erfolg lassen sich unterscheiden:
1. | Angebot (Produkt/Dienstleistung): z.B. seine Bezeichnung, sein Design und seine Eignung für den Direktverkauf; | 2. | Angebotsform: z.B. Zahlungsbedingungen, Vergütungsarten, Rücknahmegarantien, Lieferung zur Ansicht und Zugabeeffekte; | 3. | Preis; | 4. | Zielgruppe(n): Hier können zwei Kriterien getestet werden: einmal die Merkmale der Zielgruppe, also ihre Selektion im engeren Sinne, zum Zweiten die fremdbezogenen Adressenkollektionen verschiedener Lieferanten; | 5. | Werbemittel: z.B. Größe, Anzahl der Teile, Farbigkeit, Gewicht, Gestaltungsmerkmale wie Text, Grafik, Fotos usw., Textlänge und Personalisierung; | 6. | Streuzeitpunkt: z.B. Jahreszeiten, Festtage, Wetterlage, politische und konjunkturelle Bedingungen, Saisons und Großveranstaltungen; aufgrund der eingeschränkten Steuerbarkeit einiger dieser zeitlichen Einflussfaktoren ist der Streuzeitpunkt nicht im gleichen Bedingungsrahmen wiederholbar. Dennoch gibt es empirische Erfahrungswerte für günstige Schalt- bzw. Streutermine je nach Angebotskategorie (z.B. Spendenkampagnen im November/Dezember). |
Bei der Anlage eines Tests im Direct Marketing sind methodische Voraussetzungen unbedingt für die Eindeutigkeit der Ergebnisanalyse zu beachten.
VIII. Zielgruppen im Direct Marketing
Wie erwähnt, hat aufgrund empirischer Erfahrungen die Auswahl der Zielgruppe den wohl gewichtigsten Anteil am Erfolg oder Misserfolg einer Aktion im Direct Marketing. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Zielgruppen in der Business-to-Business-Kommunikation und in der Business-to-Consumer-Kommunikation. In beiden Bereichen sind die Zielgruppen durch eine Vielzahl von Merkmalsarten gekennzeichnet, die – gestützt durch z.T. speziell hierfür entwickelte Hard- und Software – in Databases gespeichert werden. Dies ermöglicht für die individuelle Kommunikation eine Einzel- oder häufig auch kombinierte Auswahl von Zielgruppenmerkmalen für Streumaßnahmen. In der Business-to-Business-Kommunikation gelten naheliegende Zielgruppenbeschreibungen wie Berufsgruppen und Branchen als Oberkriterien. Der heutige Entwicklungsstand von Databases erlaubt eine weitere Selektion nach Art der Stellung der Entscheidungsträger im Unternehmen in Verbindung mit anderen Kriterien. Als Beispiel einer solchen Database dient folgende Abbildung:
Abb. 5: Business-to-Business-Database (Quelle:Kreutzer, R. T. 1992, S. 332)
In der Business-to-Consumer-Kommunikation galt lange Zeit die Selektion von Zielgruppen nach sozio-demografischen Kriterien als die einzige Möglichkeit, auf den Erfolg einer Direct-Marketing-Aktion über die Zielgruppenauswahl Einfluss zu nehmen. Weiterführende Ansätze unterscheiden zwischen:
Abb. 6: Merkmale zur Zielgruppenauswahl (Quelle:Dallmer, H. 1989, S. 584)
Diese Kriterien können bei der Zielgruppenauswahl in gut organisierten Databases kombiniert werden mit Merkmalen aus der Vergangenheitsbeziehung zwischen Unternehmen und Zielperson/-haushalt, wie aus folgender Abbildung zu entnehmen ist:
Abb. 7: Consumer-Database (Quelle:Kreutzer, R. T. 1992, S. 333). “
Abb. 1: Das System der Distributionsfunktionen
Der neueste Stand der Zielgruppenselektionsmethoden ist als mikrogeografische Marktsegmentierung entwickelt worden. Dieser Ansatz basiert auf der Erkenntnis: Je kleiner man das regionale Gebiet wählt, desto mehr entmischt sich die Bevölkerungsstruktur, desto deutlicher gilt der Grundsatz »gleich und gleich gesellt sich gern« und desto stärker kristallisieren sich Konsumenten mit ähnlicher demografischer Struktur, ähnlicher Lebensphase und letztlich ähnlichem Lebensstil heraus (Martin, M. 1987) und sind zusätzlich operational erreichbar, z.B. über Direct-Mail.
Das Verfahren beruht üblicherweise auf einer Aggregation homogener Wohngebietstypen, z.B. auf Straßenabschnittsniveau (vgl. regio Select, eine System-Entwicklung der AZ Direct Marketing Bertelsmann GmbH), gebildet aus einer Vielzahl demografischer Daten, Infrastrukturdaten und Informationen über konkrete Kaufakte, Nutzungsinformationen diverser Dienstleistungen bis hin zu Angaben über den Bestand bestimmter Güter, die jeder Zelle zugeordnet werden (im vorliegenden Fall sind das mehr als 80.000 Zellen in der BRD. Die so gewonnenen Wohngebietstypen werden mithilfe der Faktorenanalyse zu Konsummustern verdichtet, und eine Clusteranalyse führt zu sieben spezifischen Konsum- und Lebensstilmilieus, denen sich jeder Haushalt mit hoher Zuverlässigkeit zuordnen lässt. Dies erlaubt eine Zielgruppendefinition und -auswahl auf neuem Niveau.
IX. Die zukünftige Entwicklung des Direct Marketing
Die weiter zunehmende Informationsbelastung des Konsumenten in Unternehmen wie Privathaushalten wird der Individualkommunikation auf der Grundlage der vorhandenen und immer besser identifizierbaren Bedürfnisstrukturen in Zukunft deutliche Wachstumsraten bescheren. Parallel dazu verläuft die zunehmende Angebotsvielfalt in einer Multi-Options-Gesellschaft, die Methoden des Direct Marketing sinnvoll anwenden lassen.
Während bis vor wenigen Jahren die Forderung nach integrierter Kommunikation im Direct Marketing einen hohen Stellenwert hatte (Weinhold-Stunzi, H. 1987; Zorn, D. 1991), wird das interaktive Fernsehen, auch als »Superhighway of Communication« bezeichnet, und die wachsende Internet-Nutzung zu einer Vermengung von Individual- und Massenkommunikation führen. D.h., dass nicht mehr spezialisierte Einzelmedien in Kombination zur Synergismuswirkung eingesetzt werden müssen, sondern dass ein Medium sämtliche Vorteile bietet. Das »Armchair Shopping« erlangt zunehmende Bedeutung, was durch entsprechende Kommunikationstechnik und durch zunehmende Verbreitung von Kreditkarten gestützt wird. Auch hierbei wirkt die unschwer voraussehbare Hyperentwicklung von Computer-Soft- und Hardware als Katalysator, in Unternehmen wie auch in Privathaushalten.
Die Kombination von Telefon, Fax-, TV-Gerät und PC als zentrale Kommunikationsschaltstelle im Haushalt wird für das Direct Marketing eine zentrale Rolle einnehmen. Auf der Seite der Unternehmen wird eine zunehmende Verfeinerung der Methoden (z.B. bei Zielgruppenauswahl und Zielgruppenbewertung), auch hier begleitet durch den Computer, zur Erfolgssteigerung im Marketing beitragen. Die Verfügbarkeit der Medien des Direct Marketing und deren relative sprachliche Unabhängigkeit und Grenzenlosigkeit können als Indizien für einen zunehmenden überregionalen und internationalen Einsatz gelten. Dies zeichnet sich im grenzenlosen Telefon-Marketing bereits heute ab. Aggressive Handelsunternehmen überwinden damit die bisherigen Grenzen ihrer Standortabhängigkeit.
Abschließend muss aber auch festgestellt werden, dass nicht zuletzt wegen der absoluten und relativen Zunahme des Medieneinsatzes im Direct Marketing Forderungen nach Beschränkungen oder gar Verboten insbesondere von Telefonmarketing und der Speicherung und Weitergabe von persönlichen Daten laut werden. Eine Vielzahl von Gesetzen (z.B. »Bundesdatenschutz-Gesetz«) regelt in Ergänzung zu Selbstbeschränkungsmaßnahmen durch die Wirtschaft (z.B. »Robinson-Adressliste«) die Wahrung der Interessen der Verbraucher. Bei ausgewogener Betrachtung, die sich übrigens Rechtsprechung und Gesetzgeber zu Eigen gemacht haben, ist eine funktionierende Volkswirtschaft ohne direkte Marketing-Kommunikation nicht denkbar. Aufgrund der gezielten Auswahl der Adressaten nach Wahrscheinlichkeit des Bedarfs würde Direct Marketing im Idealfall eine Reduzierung von ungewünschter Werbung bedeuten – oder auch: eine wirtschaftlichere Verwendung von Ressourcen.
Literatur:
Böhler, H./Dallmer, H./Stölzel, A. : Zielgruppenbestimmung und Adreßlistenauswahl für die direkte Marketing-Kommunikation, in: DBW, 1980, S. 415 – 422
Dallmer, H. : Direct-Marketing, in: Handbuch des Marketing, hrsg. v. Bruhn, M., München 1989, S. 535 – 562
Dallmer, H. : System des Direct Marketing – Entwicklungsfaktoren und Trends, in: Das Handbuch Direct Marketing & More, hrsg. v. Dallmer, H., 8. A., Wiesbaden 2002, S. 3 – 32
Gerardi, A. : Direktwerbung, in: Marketing Enzyklopädie, München, Bd. 1, 1974, S. 403 – 417
Hodgson, R. : Direct-Mail und Mail-Order Handbook, Chicago 1974
Köhler, R. : Der Einfluß des Kommunikators auf die Wirkung direkter Marktkommunikationen, in: Handbuch Direct Marketing, hrsg. v. Dallmer, H., 6. A., Wiesbaden 1991, S. 151 – 173
Kreutzer, R. T. : Zielgruppen-Management mit Kunden-Datenbanken, in: DBW, 1992, S. 325 – 340
Martin, M. : Parole: All Business is Regional, in: Horizont, Nr. 43, 1987, S. 32 – 33
Mayer, C. : Die Konzeption von Kampagnen, in: Handbuch des Direct Marketing, hrsg. v. Dallmer, H./Thedens, R., 1. A., Wiesbaden 1975, S. 327 – 383
Weinhold-Stünzi, H. : Integriertes Marketing – ein wichtiger Teilaspekt: Interpretation »klassischer« mit »direkter« Kommunikation, in: Thexis, Nr. 4, 1987, S. 1 – 9
Zorn, D. : Integrierte Kommunikation, in: Handbuch Direct Marketing, hrsg. v. Dallmer, H., 6. A., Wiesbaden 1991, S. 51 – 64
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