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Bedürfnis, Bedarf, Nutzen


Inhaltsübersicht
I. Begriffliche Zusammenhänge im Überblick
II. Der Bedürfnisbegriff im theoretischen Kontext
III. Das Bedürfniskonzept im Marketing
IV. Bedarf und Bedarfsforschung
V. Nutzentheorien und Nutzenkonzepte
VI. Das Nutzenkonzept im Marketing

I. Begriffliche Zusammenhänge im Überblick


Die Begriffe Bedürfnis, Bedarf und Nutzen sind auf das Engste miteinander verwoben und bilden, ergänzt durch die Nachfrage und den Verbrauch, eine gedankliche Schrittfolge ökonomischen Verhaltens (Wiswede, G. 1973). Nach einer noch heute in den Wirtschaftswissenschaften gängigen Auffassung (vgl. Sandig, C. 1974) wird das mit dem Streben nach Beseitigung eines Mangels verbundene Gefühl als Bedürfnis bezeichnet und in der Beseitigung des Mangels besteht die Befriedigung des Bedürfnisses. Die Wirtschaft ist nun dasjenige Gebiet, das der Befriedigung von Konsumbedürfnissen dient (Wöhe, G. 2005).
Der Bedarf ist das auf ein Wirtschaftsgut konkretisierte Bedürfnis, verbunden mit dem Wunsch, dieses zu erwerben. Im Bedarf kommen somit diejenigen Bedürfnisse zur Geltung, deren Befriedigung sich der Mensch durch wirtschaftliche Güter erhofft. Da ein spezielles Bedürfnis (z.B. Hunger) oft auf sehr vielfältige Weise befriedigt werden kann, erfolgt eine konkrete Objektzuwendung und damit der Bedarf erst in einer späten Phase der Bedürfniskonkretisierung. Das Bedürfnis ist ein vorökonomisches und der Bedarf ein ökonomisches Phänomen (Schäfer, E. 1938). Letztendlich sind es laut Abbott nicht die Güter an sich, die die Menschen wollen, sondern befriedigende Erlebnisse (Abbott, L. 1955).
Der Nutzen eines Produkts wird definiert als das Maß der erwarteten (Customer Value) oder tatsächlich eingetretenen Bedürfnisbefriedigung durch dieses Produkt (Nieschlag, R./Dichtl, E./Hörschgen, H. 2002). Die Kundenzufriedenheit ist dann ein Ergebnis der Bewertung der erfolgten Bedürfnisbefriedigung. Nach der ökonomischen Theorie bestimmt sich der Nutzen eines Gutes einerseits aus dessen Potenzial zur Bedürfnisbefriedigung und andererseits aus der Knappheit dieses Gutes (Geigant, F./Haslinger, F./Sobotka, D. et al. 2000). Als Evaluierungskonstrukt lenkt der Nutzen Bedürfnisse auf bestimmte Produkte. Unter der Annahme rationaler Entscheidungen wählt der Mensch das Produkt oder die Alternative mit der höchsten subjektiven Nutzenerwartung aus (Prinzip der Nutzenmaximierung) (Kotler, P./Bliemel, F. W. 2001).
Die Nachfrage ist der durch Kaufkraft gestützte Bedarf (Kotler, P./Bliemel, F. W. 2001). Bedarf und Kaufkraft sind allerdings keine voneinander unabhängigen Phänomene, da die Fähigkeit des Mitteleinsatzes die Bedarfsorientierung im Prozess der Bedürfniskonkretisierung mit beeinflusst (Wiswede, G. 1973).

II. Der Bedürfnisbegriff im theoretischen Kontext


1. Begriffsbestimmung und Abgrenzung


Eine allgemein akzeptierte Bedürfnistheorie gibt es nicht (Lederer, K. 1979). Es können die Ebenen der individuellen Bedürfnisse (individual needs), der sozialen Bedürfnisse (social needs) und der gesellschaftspolitischen Bedürfnisse (societal needs) unterschieden werden (Lederer, K. 1979). Nach einer weiteren Theorie (Scherhorn, G. 1959) zeichnet sich ein Bedürfnis durch ein Mangelerlebnis (Stärke des Bedürfnisses), ein Anmutungsmoment (Bildhaftigkeit des Bedürfnisses), ein Antriebsmoment (triebhafter Bedürfnisdruck) sowie durch ein Richtungsmoment bzw. Gegenstandsmoment aus. Im Verlauf der Bedürfniskonkretisierung gelangt ein Bedürfnis vom Zustand äußerster Unbestimmtheit, Ungerichtetheit, Vielschichtigkeit und Situationsabhängigkeit allmählich zu einem Zustand äußerster Bestimmtheit, Objektausrichtung und Bedarfsäußerung. Diese Entwicklung erfolgt innerhalb der vorgegebenen Möglichkeiten einer soziokulturellen Umgebung durch Prozesse der Spezialisierung, Stabilisierung und Fixierung von Bedürfnissen (Wiswede, G. 1973). Auch wenn Bedürfnisse im Entstehungsprozess noch nicht auf konkrete Objekte bzw. Produkte ausgerichtet sind, so greift die Objektwelt doch gestaltend auf die Ausbildung und Entfaltung von Bedürfnissen ein. In manchen Fällen konstituiert sich ein Bedürfnis erst durch die Objektwelt, d.h. durch die wahrgenommenen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung (Lederer, K./Mackensen, R. 1975). Bedürfnisentfaltung und -differenzierung erfolgt in einem komplexen Wechselspiel zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Bedürfnis- bzw. Warenangeboten (Birnbacher, D. 1979; vgl. Kapitel III).
Neue Bedürfnisse entstehen, wenn andere befriedigt sind, und selbst während des Befriedigungsvorganges können sich Bedürfnisse noch verändern (Hondrich, K. O. 1979). Ein Bedürfnis kann sofort realisiert, zurückgestellt, auf ein anderes Bedürfnis gelenkt, verdrängt oder es kann auf die Befriedigung ganz verzichtet werden (Wiswede, G. 1973). Eine Bedürfnisversagung erzeugt Frustration, die zu einer Reduktion der mit diesem Bedürfnis verbundenen Spannung anregt und niedere Bedürfnisse aktualisiert (Staehle, W. H. 1999).
Zur präzisen Begriffsbestimmung ist es erforderlich, Bedürfnisse von anderen verwandten Konzepten wie Instinkte, Triebe und Motive abzugrenzen. Instinkte sind von Innen- oder Außenreizen ausgelöste, reaktiv ablaufende stereotype Verhaltensprogramme, die nicht, wie der Prozess der Bedürfnisbefriedigung, dem Bewusstsein unterworfen sind. Triebe sind besonders starke Antriebskräfte, die den Menschen in einen Zustand der Spannung und Erregung versetzen. Sie werden aktualisiert und verhaltenswirksam, wenn das innere biologische Gleichgewicht (Homöostase) gestört ist (Kroeber-Riel, W./Weinberg, P. 2003). Motive sind die Ursachen bzw. Beweggründe des Verhaltens. Ein Bedürfnis kann ein Motiv sein, aber nicht alle Motive lassen sich auf Bedürfnisse zurückführen. Entsprechend wird unter Motivation ein das menschliche Verhalten antreibender Prozess mit richtungsgebender Handlungstendenz verstanden (Kroeber-Riel, W./Weinberg, P. 2003).

2. Bedürfnisse aus Sicht ökonomischer Theorien


Das Bedürfnis gehört zu den Grundbegriffen ökonomischer Theorien. Die Nationalökonomie geht davon aus, dass die Bedürfnisse der Menschen isolierbar, beliebig teilbar und sättigbar sind (Scherhorn, G. 1959). Entstehen und Wesen von Bedürfnissen werden nicht erklärt, und die soziale Bedingtheit von Bedürfnissen und Bedürfnisentwicklung werden ignoriert (Wiswede, G. 1973). Während Bedürfnisse der Individualpsychologie zugeordnet werden, konzentriert sich die ökonomische Theorie auf den Bedarf. Demgegenüber sind nach Auffassung planwirtschaftlich orientierter Wirtschaftskonzepte Bedürfnisse nicht autonom vorgegeben, sondern sozial determiniert. Ziel der sozialistischen Gesellschaft ist es, ein Höchstmaß an Übereinstimmung zwischen individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen zu erreichen. Dabei werden die gesellschaftlichen Bedürfnisse als eigentliche Triebkräfte des gesellschaftlichen Fortschritts angesehen und ideologisch begründet (Leonhäuser, I. -U. 1988).

3. Bedürfnisse aus anthropologischer Sicht


Die Anthropologie betrachtet Bedürfnisse als variabel, plastisch und weitgehend unabhängig von vorhandenen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung (Scherhorn, G. 1959). Im Laufe der kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft stabilisieren sich Bedürfnisse durch Habitualisierung und Institutionalisierung bei weitgehender Formbarkeit (Plastizität) in Reife-, Anpassungs- und Interaktionsprozessen (Scherhorn, G. 1959). Sekundäre Bedürfnisse sind Konkretisierungen von Grundbedürfnissen, die auch als anthropologische Konstante bezeichnet werden (Lederer, K./Mackensen, R. 1975). Die kulturell bedingte Höherentwicklung und Verfeinerung von Bedürfnissen erklären sich aus der den Menschen entlastenden, institutionellen Sicherung von Grundbedürfnissen in seinem Kulturkreis. Anthropologisch sind Bedürfnisse historisch-kulturell gebunden, sie erfahren ihre inhaltliche Bestimmung durch die jeweilige sozio-ökonomische und politische Situation (Lederer, K./Mackensen, R. 1975).

4. Bedürfnisse aus sozialisationstheoretischer Sicht


Während anthropologische Theorien von einer kulturspezifischen Überformung und Vereinheitlichung stammesgeschichtlich entwickelter Grundbedürfnisse ausgehen, konzentriert sich die sozialisationstheoretische Analyse auf die der Entwicklung individuell variierender Bedürfnissysteme innerhalb eines Kulturkreises zugrunde liegenden Lernprozesse (Wagner, B. 1990). Ohne selbst zu den biologischen Wurzeln der Bedürfnisse vordringen zu wollen, wird deren Entfaltung zu individuellen Bedürfnissystemen durch Sozialisationsprozesse erklärt (Behrens, G. 1991). Dieser Erklärungsansatz impliziert durch im hohen Maße variable und differenzierte Möglichkeiten der Bedürfnisentfaltung eine weitgehende Plastizität menschlicher Bedürfnisse. Durch das Angebot und den Umgang mit Wirtschaftsgütern formen und entwickeln sich Bedürfnisse (Eichler, G./Scherhorn, G. 1978).

5. Bedürfnisse aus gesellschaftspolitischer Sicht


Gesellschaftspolitisch stellt sich insb. die Frage nach Steuerung und Bewertung individueller und kollektiver Bedürfnisse innerhalb einer Gesellschaftsform. Eine soziale Steuerung von Bedürfnissen kann einerseits über Markt- und andererseits über politische oder kulturell-normative Prozesse der Belohnung und Bestrafung, Normensetzung oder der Zwangsanwendung erfolgen (Hondrich, K. O. 1979). Ergebnisse ökonomisch oder gesellschaftspolitisch orientierter Bedürfnisformungen werden häufig mit Werturteilen belegt (Specht, G. 1974). Bedürfnisse werden in gesellschaftskritischen Beiträgen nicht selten in »wahre« und »falsche« oder »echte« und »künstliche« Bedürfnisse eingeteilt. Auch wird den Industrieländern vorgeworfen, nicht zu produzieren, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um in erster Linie durch Schaffung immer neuer Bedürfnisse die Produktion zulasten der Umwelt auszuweiten (Schmidheiny, S. 1992). Nach Kroeber-Riel, W./Weinberg, P. stellt sich hier das Legitimationsproblem, d.h. die Frage, inwieweit Anbieter kommerzieller Güter oder staatliche Planungsinstanzen dazu legitimiert sind, durch ihr Güterangebot Bedürfnisse und Lebensstile von Menschen zu prägen, die u.U. den individuellen oder gesellschaftlichen und ökologischen Interessen der Menschen widersprechen (Kroeber-Riel, W./Weinberg, P. 2003). Der Schaffung von Bedürfnistransparenz und -reflexion im Rahmen verbraucherpolitischer Maßnahmen können Prozesse der kommerziell orientierten Bedürfnisformung entgegenwirken (Kuhlmann, E. 1990). In dem Maß, wie eine Gesellschaft in der Lage ist, die Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu befriedigen, stellt sich Lebensqualität ein.

6. Bedürfnisklassifikationen


Die älteren Bedürfnistheorien, sog. thematische Bedürfnistheorien, versuchen, die Bedeutung von Bedürfnissen für das menschliche Verhalten mittels einer einfachen Auflistung einzelner Bedürfnisse (Bedürfnislisten) oder einer systematisierten Zusammenstellung von Bedürfnissen (Bedürfniskataloge) zu beschreiben und zu erklären (Lisowsky, P. U. 1968). Der Erklärungswert solcher Bedürfnislisten oder -kataloge ist außerordentlich begrenzt, da sie Interdependenzen zu anderen Verhaltenskonstrukten, insb. zu den Wahrnehmungs- und Lernprozessen nicht sichtbar machen. Zu den bekanntesten klassifikatorischen Ansätzen gehört die Bedürfnistheorie von Maslow, A.. Dieser Theorie liegt der Grundgedanke der relativen Vorrangigkeit von Bedürfnissen zugrunde, wonach immer erst Bedürfnisse der niederen Kategorie befriedigt sein müssen, bevor ein höheres Bedürfnis überhaupt aktiviert und verhaltenswirksam werden kann (Heckhausen, J./Heckhausen, H. 2005). Die Hierarchie der Bedürfnisse beginnt mit physiologischen Bedürfnissen, gefolgt von den Bedürfnissen nach Sicherheit, sozialer Bindung und Selbstachtung (deficiency needs), sie endet mit dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung (growth needs). Diese Anordnung der Bedürfnisse kann entwicklungspsychologisch auch als Phasen der Persönlichkeitsentwicklung interpretiert werden (Heckhausen, J./Heckhausen, H. 2005).

III. Das Bedürfniskonzept im Marketing


Nach allgemeiner Auffassung ist Marketing eine menschliche Tätigkeit, die darauf zielt, durch Austauschprozesse Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen (Kotler, P./Bliemel, F. W. 2001). Ausgangspunkt für das Marketing ist demnach die Menge menschlicher Bedürfnisse und die Schaffung von Gütern zu deren bestmöglicher Befriedigung. Zu den Kernaufgaben des Marketing gehört die zielorientierte Beeinflussung menschlicher Bedürfnisse, Bedarfe und Nachfrage. Das Marketing wirkt durch das Güterangebot an der Prägung, Formung und Konkretisierung von Bedürfnissen mit. Aufgabe einer Marketing-Konzeption ist das systematische Suchen nach unbefriedigten und latenten Bedürfnissen des Konsumenten und nach Ansatzpunkten für deren Konkretisierung durch ein entsprechendes Leistungsangebot (Specht, G. 1974). Produktinnovations- und Produktvariationspolitik sowie die Werbung sind typische Instrumente der Bedürfnisformung, -verstärkung und -konkretisierung (Behrens, G. 1991). Nach Raffée ist der Konsument infolge der hohen Plastizität seiner Bedürfnisse den Beeinflussungsversuchen des kommerziellen Marketing in starkem Maße ausgeliefert (Raffée, H. 1979). Die Möglichkeit des Marketing, Bedürfnisse zu kreieren, schränkt die Konsumentensouveränität ein und kann zu gesellschaftspolitisch problematischen Konsumformen führen (Raffée, H. 1979).

IV. Bedarf und Bedarfsforschung


Bedarf wird definiert durch den als Mangel erlebten Wunsch nach dem Erwerb eines Wirtschaftsgutes, dessen Besitz, Ge- oder Verbrauch die Befriedigung von Bedürfnissen verspricht. Der Bedarf ergibt sich aus der Menge der zur Befriedigung von Bedürfnissen erforderlichen wirtschaftlichen Güter. Erkenntnisse über Bedürfnisse und Bedarfe sind von grundlegender Bedeutung zur Erklärung und Prognose des Konsumentenverhaltens und allgemeiner ökonomischer Prozesse (Scherhorn, G. 1959). Meist ist der Bedarf durch ein ganzes Bündel von Bedürfnissen (Bedürfniskomplexe) und anderen Faktoren determiniert. Bei der Bedarfsausrichtung spielt das Marketing eine gewichtige Rolle, denn letztendlich dient der Einsatz aller marketingpolitischen Instrumente dazu, den Bedarf auf eine bestimmte Marke zu lenken. Die Dringlichkeit bzw. Rangfolge der Bedarfe ist relativ und nicht statisch. Sie ist abhängig vom Lebensstandard, der Kultur, den Normen und Werten sowie der jeweiligen Wirtschaftslage (Wiswede, G. 1973).
Üblicherweise wird zwischen ursprünglichem Bedarf privater Haushalte und abgeleitetem Bedarf gewerblicher Unternehmer unterschieden. Der Bedarf der Haushalte bildet sich durch Abwägen zwischen Bedürfnissen und knappen Mitteln. Bedarfsfaktoren wie z.B. individuelle Bedürfnisse, soziale Einflüsse, tatsächliches Warenangebot und Kaufkraft erklären, wie es vom Bedürfnis zu einem konkreten Bedarf kommt (Schäfer, E. 1938). In den Betrieben erfolgt im Rahmen des Beschaffungswesens bzw. Beschaffungsmarketing eine verbrauchs- oder programmgesteuerte Bedarfsermittlung (Berg, C. C. 1990). Dagegen versuchen zentral geleitete Verwaltungswirtschaften, mit der Bedarfsplanung eine Übereinstimmung zwischen Produktion und Konsumtion herzustellen (Sandig, C. 1974).

V. Nutzentheorien und Nutzenkonzepte


1. Der Nutzen in ökonomischen Theorien


In der Nationalökonomie wurde das Nutzenkonzept als theoretisches Konstrukt eingeführt und in ein System von Verhaltensaxiomen eingebunden, um Aussagen über das Nachfrageverhalten von Konsumenten ableiten zu können. Im Unterschied zur objektiven Wertlehre, die versucht, den Nutzen eines Gutes durch eine objektiv messbare und intersubjektiv vergleichbare Größe, wie z.B. die Produktionskosten, auszudrücken, ist nach der Grenznutzentheorie der Wert eines Gutes abhängig von der subjektiven Nutzenbewertung der Nachfrager (Wagner, B. 1990). Nach dieser Theorie richten sich ökonomische Wahlhandlungen nach dem Nutzen der Güter, der sich aus der Dringlichkeit der mit diesen Gütern zu befriedigenden Bedürfnisse und der Knappheit der Güter ableiten lässt. Nutzenfunktionen bilden in der mikroökonomischen Theorie den Nutzen in Abhängigkeit von Gütermengen ab. Dabei gehen ältere Theorien von einem kardinalen und neuere Theorien von einem ordinalen Nutzenkonzept aus (Geigant, F./Haslinger, F./Sobotka, D. et al. 2000).
In der modernen ökonomischen Nutzentheorie können zwei Hauptrichtungen unterschieden werden: Die introspektive Richtung geht von einem vereinfachten Nutzenkalkül und dem Indifferenzprinzip aus, während die behavioristische Richtung an das beobachtbare Verhalten anknüpft und aus dem Nachfrageverhalten auf Präferenzen schließt (Trommsdorff, V./Bleicker, U./Hildebrandt, L. 1980). Die Nutzenüberlegungen der Ökonomen richten sich in erster Linie auf die Indifferenzkurvenanalyse. Die ökonomische Theorie setzt das Rationalprinzip als Verhaltensmaxime voraus, das von einer vorgegebenen Bedürfnisstruktur sowie der Nutzenmaximierung als Zielsetzung ausgeht. Dieser Versuch, die vielfältigen Einzelziele der Haushalte durch das umfassende Konzept des Nutzens in den Griff zu bekommen, geht allerdings nach Auffassung von Raffée mit einer inhaltlichen Entleerung dieses Begriffes einher (Raffée, H. 1969).

2. Der Nutzenbegriff in Entscheidungstheorien


Die betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre unterscheidet zwischen präskriptiver und deskriptiver Entscheidungstheorie (Bamberg, G./Coenenberg, A. G. 2004). Die präskriptive Entscheidungstheorie entwickelt Modelle und Regeln mit dem Ziel, in komplexen Situationen rationale Entscheidungen zu ermöglichen. Dagegen zielt die deskriptive Entscheidungstheorie auf die Beschreibung, Erklärung und Prognose von Entscheidungen, wie sie in der Realität von den Wirtschaftssubjekten getroffen werden.
Im Grundmodell der präskriptiven Entscheidungstheorie wird durch die Nutzenfunktion jedem Ergebnis ein Nutzenwert zugeordnet. Entscheidungsergebnisse stellen sich als Konsequenzen von Aktionen und Umweltzuständen ein. Auf der Basis dieser Nutzenwerte werden dann, wie z.B. beim Bernoulli-Prinzip oder bei der Nutzwertanalyse, Entscheidungen über zu ergreifende Handlungsalternativen abgeleitet (Schneeweiß, H. 1991). Nach dem präskriptiven Entscheidungsmodell der Multi-Attribute-Utility-Theorie (MAUT-Modell) ergibt sich im Konzept der means-end-analysis der Gesamtnutzen einer Handlungsalternative als Summe der merkmalsgewichteten Teilnutzenwerte einzelner Handlungsmerkmale (Schneeweiß, H. 1991).
Die deskriptive Entscheidungstheorie fasst das Entscheidungsverhalten im weitesten Sinne als Prozess der Informationsverarbeitung auf (Weinberg, P. 1981). Das prominenteste nutzentheoretische Modell der deskriptiven Entscheidungstheorie ist das Subjectively-Expected-Utility-Model (SEU-Modell). Danach ergibt sich der Nutzen einer Alternative aus der Summe der Teilnutzenwerte ihrer Konsequenzen, gewichtet mit den jeweiligen subjektiven Eintrittswahrscheinlichkeiten. Gewählt wird dann die Alternative mit dem höchsten Nutzenwert (Jungermann, H. 1990).

3. Eine absatzwirtschaftliche Nutzenlehre


Die absatzwirtschaftliche Nutzenlehre Vershofen, W.s, die auch als Nutzenleiter bezeichnet wird, sieht eine hierarchische Aufgliederung verschiedener kaufrelevanter Nutzenarten vor (Berekoven, L. 1979). Auf der ersten Hierarchieebene seines Systems unterscheidet Vershofen zwischen dem stofflich-technischen Grundnutzen und dem geistig-seelischen Zusatznutzen von Gütern (Moser, H. 1963). Aus der Nutzenlehre Vershofens leitet sich die sog. Nürnberger-Regel ab, nach der beim Kaufentscheid die jeweils speziellste Nutzenart den Ausschlag gibt (Moser, H. 1963). Nach Meinung Wiswedes hat die Nutzenlehre Vershofens wegen der fehlenden empirischen Validierung nur eine deskriptive Bedeutung (Wiswede, G. 1973). Zudem ist eine exakte Trennung zwischen Grund- und Zusatznutzen kaum möglich.

VI. Das Nutzenkonzept im Marketing


Die marketingwissenschaftliche Literatur unterscheidet i.A. nicht zwischen Präferenz und Nutzen. Beide Begriffe werden sehr häufig synonym verwendet. Nach einer von Balderjahn angeregten Begriffsauffassung sollte dennoch zwischen der Präferenz als der von Kaufrestriktionen unabhängigen relativen Vorteilhaftigkeit eines Produkts und dem Nutzen als der aus der Präferenz und den wahrgenommenen Kaufrestriktionen resultierenden Produktbewertung und Handlungstendenz unterschieden werden (Balderjahn, I. 1993). Marketing zielt auf die Schaffung von Produkten mit hohem Kundennutzen. Nutzen- bzw. Präferenzkonstrukte werden im Marketing zur Neuproduktplanung und Produktgestaltung, zur Erklärung des Markenwahlverhaltens von Konsumenten (Böcker, F. 1986), zur Produktpositionierung und zur Marktsegmentierung (Green, P. E./Krieger, A. M. 1991) herangezogen. Segmentierungen der Konsumenten nach ihren Nutzenbewertungen werden als Benefit-Segmentierung bezeichnet.
Das methodische Instrument zur Bestimmung individueller Nutzenstrukturen ist die Conjoint-Analyse. Ziel dieses Verfahrens ist es, aus globalen Präferenzordnungen alternativer Produktkonzepte individuell gültige (Teil-)Nutzenwerte (partworths) relevanter Produktmerkmale dekompositionell zu bestimmen. Die geschätzten Nutzenwerte einzelner Attribute bzw. die ihrer Ausprägungen können zur Entwicklung eines – aus der Sicht des wahrgenommenen Produktnutzens – optimalen Produktkonzepts herangezogen werden. Um das Markenwahlverhalten mit den Nutzenwerten der Conjoint-Analyse erklären zu können, müssen noch Annahmen darüber getroffen werden, welche Rolle der wahrgenommene Produktnutzen beim Kaufentscheid spielt. Nach der für diesen Zweck sehr oft eingesetzten first-choice-rule wählen die Konsumenten immer das Produkt mit dem maximalen Gesamtnutzenwert aus, der sich im linear-additiven Nutzenmodell aus der Summe der Teilnutzenwerte ergibt (Balderjahn, I. 1994). Ein alternatives Modell und empirisches Verfahren von Nutzeneinschätzungen ist das Multinomiale Logit-Modell der Diskreten Entscheidungsanalyse (Balderjahn, I. 1993).
Literatur:
Abbott, L. : Quality and Competition, New York 1955
Balderjahn, I. : Marktreaktionen von Konsumenten, Berlin 1993
Balderjahn, I. : Der Einsatz der Conjoint-Analyse zur empirischen Bestimmung von Preisresponsefunktionen, in: Marketing ZFP, H. 1/1994, S. 12 – 20
Bamberg, G./Coenenberg, A. G. : Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, 12. A., München 2004
Behrens, G. : Konsumentenverhalten, 2. A., Heidelberg 1991
Berekoven, L. : Die Bedeutung Wilhelm Vershofens für die Absatzwirtschaft, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, 1979, S. 2 – 10
Berg, C. C. : Beschaffung und Logistik, in: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 3, hrsg. v. Bea, F. X./Dichtl, E./Schweitzer, M., 4. A., Stuttgart 1990, S. 5 – 50
Bierfelder, W. : Vershofens Nutzen-Leiter reaktiviert, in: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, 1979, S. 343 – 350
Birnbacher, D. : Was wir wollen, was wir brauchen und was wir wollen dürfen, in: Was braucht der Mensch, um glücklich zu sein, hrsg. v. Meyer-Abich, K. M./Birnbacher, D., München 1979, S. 30 – 57
Böcker, F. : Präferenzforschung als Mittel marktorientierter Unternehmensführung, in: ZfbF, 1986, S. 543 – 574
Eichler, G./Scherhorn, G. : Das Verbraucherinteresse, in: Verbraucherpolitik in der Marktwirtschaft, hrsg. v. Biervert, B./Fischer-Winkelmann, W. F./Rock, R., Reinbeck 1978, S. 83 – 123
Geigant, F./Haslinger, F./Sobotka, D. : Lexikon der Volkswirtschaft, 7. A., Landsberg a.L. 2000
Green, P. E./Krieger, A. M. : Segmenting Markets with Conjoint Analysis, in: JM, 1991, S. 20 – 31
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