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Finanzierungsregeln


Inhaltsübersicht
I. Zweck
II. Formen
III. Kritik

I. Zweck


Finanzierungsregeln entspringen einer bilanzorientierten Beurteilung der finanziellen Lage des Unternehmens. Man bildet dabei Relationen zwischen Eigenkapital und Fremdkapital, zwischen Kapitalpositionen und Vermögenspositionen oder zwischen Erfolgsgrößen und Fremdkapitalpositionen und formuliert bestimmte kritische Grenzen, die nicht über- oder unterschritten werden sollen.
Als Zweck von Finanzierungsregeln wird überwiegend die Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts, insbesondere die Erhaltung der Liquidität auf kürzere oder längere Sicht, gesehen (Süchting, 1995; Wöhe, G./Bilstein, J. 2002; Franke, /Hax, 2004). Wöhe/Bilstein weisen darauf hin, dass die Einhaltung von Finanzierungsregeln die jederzeitige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens, ohne den reibungslosen Ablauf des Leistungsprozesses zu beeinträchtigen, gewährleisten sollen. Damit entspringen Finanzierungsregeln der traditionellen Sichtweise über die betriebliche Finanzwirtschaft, die weitgehende Unabhängigkeit zwischen dem betrieblichen Leistungsprozess und seiner Finanzierung unterstellt.
Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass es häufig die Manager und/oder die Kapitalgeber sind, welche die Einhaltung von Finanzierungsregeln bei den Unternehmungen fordern oder beachten. Einerseits sucht die Unternehmensleitung selber die Gefahr zukünftiger Verletzungen des finanziellen Gleichgewichts durch Einhaltung selbstgesetzter Normen für die Bilanzkennzahlen zu begrenzen. Andererseits muss die Unternehmensleitung darauf achten, dass sich externe Kapitalgeber bei ihrer Entscheidung über die Verfügungstellung von Kapital oft auch an Bilanzkennzahlen orientieren. Schon deshalb kann es für die Unternehmen notwendig sein, Finanzierungsregeln als Konvention zu beachten. Wer die Konvention verletzt, stößt bei der Kreditaufnahme auf enge Grenzen und gefährdet vielleicht dadurch das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens (Franke, /Hax, 2004). Die Beurteilung von Unternehmen auf Basis von finanziellen Kennzahlen macht diese somit zu Normen, die das Verhalten der Unternehmen beeinflussen (Barnes, P. 1987). Daher sind Finanzierungsregeln und Finanzierungskennzahlen bzw. deren Analyse eng verbunden (Bilanzanalyse; Finanzanalyse). (Nicht eingegangen wird unter diesem Stichwort auf Banken und Versicherungen, denen die Beachtung von Finanzierungsregeln vom Gesetzgeber bzw. den Aufsichtsbehörden vorgeschrieben wird; diesbezüglich siehe im HWF die Beiträge Eigenkapital der Kreditinstitute; Liquiditätspolitik der Banken und Liquiditätsgrundsätze; Kreditwesengesetz (KWG)).

II. Formen


1. Erste Ansätze für Finanzierungsregeln


Finanzierungsregeln lassen sich zurückführen auf den von Hübner entwickelten Grundsatz gleicher Fristen für Aktiva und Passiva von Banken (goldene Finanzierungsregel oder auch goldene Bankregel) (Hübner, O. 1854). Nun ist der Ruin einer Bank zweifellos dadurch vermeidbar, dass Kredite so vergeben werden, dass die Zins- und Kreditrückzahlungen mit Sicherheit zu den Terminen eintreffen, an denen die Bank ihre eigenen Verpflichtungen zu bedienen hat. Der Pferdefuß ist: Die sichere Anlage hereingenommener Gelder in gleicher Fristigkeit bietet – zumindest bei einigermaßen vollkommenem Markt – keinerlei Gewinnchancen für die Bank. Daher ist es konsequent, dass Wagner den Grundsatz gleicher Fristigkeiten in einen Grundsatz eines ausreichenden Deckungsverhältnisses gewandelt hat (Wagner, A. 1857) – ausgehend von der Erkenntnis, dass ein Bodensatz aus kurzfristigen Einlagen ständig vorhanden sei und daher langfristig ausgeliehen werden könne (Buchner, R. 1981). Dieser für Banken entwickelte Grundsatz wurde in weiterer Folge auf andere Unternehmen ausgedehnt und weiterentwickelt.

2. Aktuelle Formen von Finanzierungsregeln


Für einige der vielen Kennzahlen aus der Finanzanalyse werden Regeln formuliert. Finanzierungsregeln werden dabei im Allgemeinen unter Kapitalstrukturregeln, Kapitalbindungsregeln und sonstige Finanzierungsregeln subsummiert.

a) Kapitalstrukturregeln


Kapitalstrukturregeln (vertikale Finanzierungsregeln) beziehen sich auf das Verhältnis von Kapitalarten, z.B. Eigen- zu Fremdkapital, oder auf die Relation einer Kapitalart zum Gesamtkapital, z.B. Eigen- zu Gesamtkapital, ohne explizit die Vermögensstruktur zu beachten. Wie Franke/Hax zeigen, messen beide genannten Beispiele für Kennzahlen den gleichen Sachverhalt, da sich eine Kennzahl aus der jeweils anderen Kennzahl herleiten lässt (Franke, /Hax, 2004).
Zu den Kapitalstrukturregeln zählen Regeln, die eine Mindestrelation zwischen Eigenkapital und Fremdkapital fordern. So kannte die Beleihungspraxis der Banken früher eine Mindestrelation zwischen Eigen- zu Fremdkapital von 1:1. Die Abnahme des Eigenkapitalanteils deutscher Unternehmen zwang Banken aber zu einer Abschwächung der 1:1-Regel in Richtung einer 1:2- oder sogar 1:3-Regel um weiter Kredite vergeben zu können. Gegensätzliche Argumente zur Entstehung dieser (vermeintlichen) Eigenkapitallücke finden sich z.B. in Perridon/Steiner und Schmidt/Terberger (Perridon, /Steiner, 2004; Schmidt, R./Terberger, E. 1997).
In der älteren Literatur wird ausschließlich auf Bilanzzahlen abgestellt; in der neueren Literatur auch auf Marktwerte. Der externe Betrachter wird sich dabei in der Regel mit Kennzahlen aus der Bilanz zufrieden geben müssen. Brealey/Myers/Allen fordern indirekt sogar für die Kreditwürdigkeitsprüfung die Beschränkung auf Bilanzzahlen, da in betrieblich schlechten Zeiten Marktwerte über Bilanzwerten rasch verloren gehen können (Brealey, R./Myers, S./Allen, F. 2006).
Implizit wird die Vermögensstruktur bzw. das Investitionsrisiko in vertikale Kapitalstrukturregeln dann einbezogen, wenn die geforderte Kapitalstruktur von der Branche abhängig gemacht wird (wenn z.B. für Banken nur eine Eigen- zu Fremdkapitalrelation von 1:19 gefordert wird). Einen ausführlichen Überblick über quantitative Ausprägungen der Kapitalstrukturregeln – ebenso wie Ausprägungen der Kapitalbindungsregeln – in der älteren Literatur geben Härle und Schacht (Härle, D. 1961; Schacht, K. 1971).

b) Kapitalbindungsregeln


Kapitalbindungsregeln (horizontale Finanzierungsregeln, Deckungsregeln, Fristigkeitsregeln) beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Vermögens- und Kapitalpositionen eines Unternehmens. Bei einigen Autoren wird dabei eine Unterscheidung in die bereits erwähnte goldene Finanzierungsregel und in die goldenen Bilanzregeln vorgenommen (z.B. Wöhe, G./Bilstein, J. 2002, Perridon, /Steiner, 2004). Letztere stellt dann auf die Fristigkeitsstruktur von Vermögen und Kapital ab, wenn einzelnen Bilanzpositionen unterschiedliche Fristigkeitsklassen zugewiesen werden.
Die Forderung, dass das auf der Passivseite der Bilanz gebundene Kapital nicht früher als das auf der Aktivseite der Bilanz gebundene Kapital freigesetzt wird, formulieren Franke/Hax in exakter Form wie folgt: Aktiva und Passiva werden in n Klassen gleicher Kapitalbindungsdauer bzw. Fristigkeit eingeteilt (Franke, /Hax, 2004). Je länger die Kapitalbindung bzw. Fristigkeit desto niedriger die Klasse, der das jeweilige Kapital bzw. die jeweilige Bilanzposition zugeordnet wird. Klasse 1 (n) enthält daher jene Kapitalien, welche die längste (kürzerste) Kapitalbindung aufweisen. Die Fristigkeit der Aktiva und Passiva der gleichen Klasse müssen sich dabei entsprechen. Es ist dabei aber nicht Voraussetzung, dass sämtliche Klassen durch Aktiva und Passiva besetzt sind. Bezeichnet Ai die Summe der Aktiva der Klasse i und Pi die Summe der Passiva der Klasse i, lautet die goldene Finanzierungsregel dann:
Finanzierungsregeln
Die Summe aller Aktiva mit der der Klasse i entsprechenden oder höheren Kapitalbindungsdauer darf nicht größer sein als die Summe aller Passiva mit der der Klasse i entsprechenden oder höheren Fristigkeit. Aus dieser allgemeinen Formulierung lassen sich die gebräuchlichen goldenen Bilanzregeln ableiten.
Die unterschiedlichen Ausprägungen der goldenen Bilanzregel kennen folgende stark vereinfachte Klassifizierungen bei der Zuordnung der Kapitalien zu den Fristigkeitsklassen:


Allen Fassungen der goldenen Bilanzregel liegt daher die Annahme zugrunde, dass Eigenkapital zur Gänze langfristiges Kapital darstellt. Aus der Finanzierungsregel A1 ≤ P1 lassen sich dann folgende Fassungen für goldene Bilanzregeln ableiten:
Fassung 1: AnlagevermögenEigenkapital
Fassung 2: AnlagevermögenEigenkapital + langfristiges Fremdkapital
Fassung 3: Anlagevermögen und langfristig gebundenes UmlaufvermögenEigenkapital + langfristiges Fremdkapital.
Fassung 1 und Fassung 3 stellen eindeutig höhere Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung als Fassung 2; die Relation zwischen Fassung 1 und 3 ist jedoch nicht eindeutig.
Auch für das Umlaufvermögen wurden Kapitalbindungsregeln entwickelt, wobei für die unterschiedliche Geldnähe des Umlaufvermögens jeweils eigene Finanzierungsregeln abgeleitet werden. So formulieren deutschsprachige Lehrbücher die Liquiditätsgrade 1. bis 3. Grades, wobei der Liquiditätsgrad 1. Grades nur Zahlungsmittel im Umlaufvermögen berücksichtigt.
Englischsprachige Lehrbücher hingegen kennen für die unterschiedlichen Liquiditätsgrade aussagekräftige Bezeichnungen. So werden der Liquiditätsgrad 1. Grades mit cash ratio und die Liquiditätsgrade 2. und 3. Grades mit acid test oder quick ratio bzw. mit current ratio oder banker\'s rule bezeichnet.
Die current ratio bzw. der Liquiditätsgrad 3. Grades lautet kurzfristiges Umlaufvermögen (current assets) zu kurzfristige Verbindlichkeiten.
Die acid test ratio oder quick ratio bzw. der Liquiditätsgrad 2. Grades berechnet sich durch monetäres Umlaufvermögen (kurzfristiges Umlaufvermögen ohne Lagerbestände = quick assets) zu kurzfristige Verbindlichkeiten.
Die cash ratio bzw. der Liquiditätsgrad 1. Grades ergibt sich schließlich aus Zahlungsmittel (cash) zu kurzfristige Verbindlichkeiten.
Bemerkenswert ist, dass in amerikanischen Textbooks häufig die current ratio mit 2:1 und die acid test ratio mit 1:1 (als Richtgrößen) quantifiziert werden (u.a. Bogen, J.I./Shipman, S. 1964; Gallinger, G.W./Healey, P. 1991), dass aber keinerlei zahlenmäßige Angaben zur vertikalen Kapitalstruktur gemacht werden. Nach Weston/Copeland ist der traditionelle Standard für die current ratio in den letzten Jahren aber gesunken (Weston, /Copeland, 1992).
Die Forderung, dass z.B. das kurzfristige Umlaufvermögen über den kurzfristigen Verbindlichkeiten (current ratio ≥ 1) zu liegen hat, kann auch aus der goldenen Bilanzregel in der Fassung 3 gefolgert werden; vorausgesetzt die sonstigen Aktiva A2 entsprechen dem kurzfristigen Umlaufvermögen und die sonstigen Passiva P2 den kurzfristigen Verbindlichkeiten. Aus A1 ≤ P1 folgt wegen A1 + A2 = P1 + P2 unmittelbar P2 ≤ A2. Eine current ratio von 2 (A2/P2 ≥ 2) stellt daher höhere Anforderungen an die Ausstattung mit langfristigem Kapital als die goldene Bilanzregel in der 3. Fassung.

c) Sonstige Finanzierungsregeln


Zu den sonstigen Finanzierungsregeln zählen Regeln hinsichtlich des dynamischen Verschuldungsgrades, d.i. das Verhältnis zwischen Nettoverschuldung und Cashflow, und hinsichtlich des Zinsdeckungsgrades (interest coverage ratio oder times interest earned), also des Verhältnisses von Gewinn vor Zinsen und Steuern zu Zinsaufwand (u.a. Brealey, R./Myers, S. 1999). In der Literatur gibt es keine Normen für diese Relationen, wohl aber werden Normen in Verträge aufgenommen. So beschreibt Vormbaum die „ Bayer AG Formel “ , die seinerzeit u.a. für deckungsstockfähige Darlehen einen maximalen dynamischen Verschuldungsgrad von 3,5 vorgeschrieben hat (Vormbaum, 1995).

III. Kritik


1. Negative kritische Aspekte

a) Kritik an der mangelnden Definiertheit von Finanzierungsregeln


Diese Kritik ist bislang vor allem von Vodrazka vorgebracht worden (Vormbaum, H. 1995). Die Anwendung von Finanzierungsregeln, die auf Begriffen wie Eigenkapital, langfristiges Kapital etc. aufbauen, setzt voraus, dass diese Begriffe exakt definierbar sind. Wie Swoboda gezeigt hat, gibt es bis jetzt kein überzeugendes Abgrenzungskriterium zwischen Eigen- und Fremdkapital (Swoboda, P. 1985). Wohin zählen beispielsweise Wandelanleihen oder Anleihen mit flexiblen Zinssätzen (so gibt es z.B. eine Eigenkapitaldefinition, die jedes Kapital mit variablen Gewinnansprüchen und somit auch Floater als Eigenkapital bezeichnet)? Ähnliches gilt für die Abgrenzung zwischen lang- und kurzfristigem Fremdkapital: Ist ein Zehn-Jahres-Kredit, der vom Gläubiger zu Ende jedes Jahres gekündigt werden kann, lang- oder kurzfristig? Im wesentlichen unterscheidet er sich ja nicht von einem jeweils verlängerten Ein-Jahres-Kredit. Je problematischer die Zuordnung bestimmter Kapitalformen ist, je relevanter hybride Kapitalformen für die Unternehmensfinanzierung werden, desto mehr zerfließen obige Finanzierungsregeln. Auch Schneider sieht diese Kritik als berechtigt an, doch weist er darauf hin, dass die Sinnhaftigkeit von Finanzierungsregeln dabei aber nicht hinterfragt wird (Schneider, 1989).
Weiter tritt verstärkt die Frage in den Vordergrund, welches die richtige Bewertung der Vermögens- und Kapitalpositionen für die Messung der Einhaltung von Finanzierungsregeln ist. Da noch nicht geklärt ist, welche Bewertung für die einzelnen Vermögens- und Kapitalpositionen als richtig gelten soll, helfen auch modifizierte Bilanzstrukturnormen nicht weiter, die stille Reserven berücksichtigen (Franke, /Hax, 2004).

b) Kritik an der Widersprüchlichkeit von Finanzierungsregeln


Insbesondere horizontale und vertikale Finanzierungsregeln können einander widersprechen. Das Anlagevermögen einer Unternehmung sei 25, das Umlaufvermögen 75. Die goldene Bilanzregel in der Fassung 1, wonach das Anlagevermögen mittels Eigenkapital und das Umlaufvermögen mittels Fremdkapital zu finanzieren ist, steht dann im Widerspruch zur Kapitalstrukturregel, wonach sich das Eigenkapital zu Fremdkapital wie 1:1 verhalten soll. Der Widerspruch besteht allerdings dann nicht mehr, wenn die beiden Regeln – wie üblich – lediglich eine Mindesteigenkapitalquote definieren. Dann ist die strengere Regel die ausschlaggebende.

c) Kritik an der mangelnden Relevanz der Finanzierungsregeln für die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts


Der Haupteinwand gegen Finanzierungsregeln ist die Feststellung, dass sie das nicht leisten können, was von ihren Proponenten gefordert wird: Die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts. Selbst wenn z.B. das gesamte Anlagevermögen mittels Eigenkapital finanziert ist, kann ein plötzlicher Preisverfall etc. nicht nur den Wert des Anlagevermögens, sondern auch denjenigen des Umlaufvermögens so mindern, dass das Unternehmen in Insolvenz gerät und die Gläubiger – die ja annahmegemäß nur Forderungen in Höhe des Umlaufvermögens halten – Verluste hinnehmen müssen. Auch kann Eigenkapital – wie z.B. freie Rücklagen – vielfach rückgezahlt werden, ohne Gläubigerschutzbestimmungen beachten zu müssen. Andererseits wird ein Unternehmen, das hauptsächlich durch kurzfristiges Fremdkapital finanziert wird, stets erneut Financiers finden, wenn ihre Erträge einen hohen Sicherheitsgrad aufweisen (Härle, D. 1970; Härle, D. 1976; Vodrazka, K. 1972; Vormbaum, 1995). Finanzierungsregeln, die weitgehend auf vergangenheitsorientierten Bestandsgrößen beruhen, werden nach dieser Kritik nie die Aufgabe zukunftsorientierter Finanzpläne ersetzen können.

d) Kritik an der mangelnden Optimalität von Finanzierungsregeln


Diese Kritik zielt darauf ab, dass die optimale Kapitalstruktur von so vielen Einflussgrößen unterschiedlicher Art (Investitionsrisiko, steuerliche Einflüsse, Rechtsform etc.) abhängt, dass globale Kapitalstrukturregeln nur zufällig mit dem Optimum zusammenfallen könnten. Der Ansatzpunkt dieser Kritik kann dadurch etwas gemildert werden, wenn z.B. lediglich für Aktiengesellschaften branchen- sowie länderspezifische Finanzierungsregeln formuliert werden (Härle, D. 1961; Schacht, K. 1971). Ungeklärt bleibt selbstverständlich, ob über Finanzierungsregeln die optimale Finanzierungspolitik ausgedrückt werden kann. Natürlich können die Anforderungen der Kapitalgeber oder von Rating-Institutionen jede Finanzierungsregel zur betriebswirtschaftlich optimalen Kapitalstruktur machen, indem sie Abweichungen von der jeweiligen Finanzierungsregel durch höhere Kapitalkostensätze entsprechend bestrafen (Franke, /Hax, 2004; Süchting, 1995; Wissenbach, H. 1964). Gesamtwirtschaftlich müssen sie dadurch aber nicht effizient werden.

2. Positive kritische Aspekte

a) Im Hinblick auf fehlende wissenschaftlich begründete Hypothesen zur optimalen Finanzierung


Nach Schneider kann man auf den Widerspruch zwischen der obigen wissenschaftlichen Kritik an den Finanzierungsregeln und ihrer Akzeptanz durch die Praxis auf zweifache Art und Weise reagieren: mit „ um so schlimmer für die Wirklichkeit “ oder mit „ schlimm für die Wissenschaft “ (Schneider, 1992). Letzteres ist aber eher zutreffend. Denn die Kritiker würden nicht sehen, dass die Finanzierungsregeln von der Praxis nicht als „ Handlungsempfehlungen mit rationalem Begründungsanspruch “ befolgt werden, sondern „ ? ersatzweise benutzt werden, weil keine wissenschaftlich begründeten Hypothesen verfügbar sind. Finanzierungsheuristiken dienen ? als Beruhigungsdroge: Wer solche Finanzierungsregeln einhält, bewegt sich in Bahnen, in denen er nicht auffällt: Er erfüllt einen weithin akzeptierten, wenngleich wissenschaftlich nicht begründeten Anspruch, solide finanziert zu sein “ ? „ Für die Wissenschaft besteht die Aufgabe, als praktische Übung vorgefundene Finanzierungsheuristiken entweder als Fehlinformationen zurückzuweisen oder als Informationshilfe zu begründen. “
Mit dieser Aufgabe befasst sich Schneider ausführlich, indem er sich insbesondere mit dem (behaupteten) Zusammenhang zwischen Kapitalstruktur und Insolvenzrisiko auseinander setzt. Seiner Auffassung nach kann aus einer steigenden Eigenkapitalquote nur unter sehr einschränkenden Voraussetzungen auf ein geringeres Insolvenzrisiko geschlossen werden. Vor allem dürfen das Investitionsrisiko und/oder das Eigenfinanzierungsrisiko (Risiko aus dem Abzug von Eigenmitteln) nicht kompensierend zunehmen.
Swoboda führt diesen Gedanken weiter (Swoboda, P. 1995): Unternehmen können gleiches Risiko für die Kapitalgeber bei hohem oder niedrigem Verschuldungsgrad allein schon durch die Variation des Risikomanagements (Versicherungsabschlüsse, Hedging von Währungsrisiken etc.) erreichen. Ein höher verschuldetes Unternehmen, das eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen hat und auch sonst ausgeprägtes Risikomanagement betreibt, kann c.p. ein geringeres Insolvenzrisiko aufweisen als ein niedriger verschuldetes Unternehmen ohne Risikomanagement.
Dennoch schließt Schneider mit der Feststellung: Damit Kapitalgeber eine bestimmte Eigenkapitalquote fordern, „ braucht also nicht die Kapitalstrukturrisikothese als empirische Gesetzmäßigkeit zu gelten. Dazu reicht es aus, dass ihre Gültigkeit im Einzelfall nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann “ (Schneider, 1992). Eine ähnlich positive Einstellung zur Verwendung von Finanzierungsregeln durch Kapitalgeber drückt Süchting aus (Süchting, 1995). Allerdings begründet Süchting seine Auffassung eher mit der mangelnden Publizität der Unternehmen bezüglich ihrer Finanzpläne und nicht so sehr mit dem Fehlen wissenschaftlich begründeter Finanzierungshypothesen.

b) Im Hinblick auf Agency Aspekte


In der älteren Literatur zu Finanzierungsregeln wurde stets implizit unterstellt, dass die Einhaltung von Finanzierungsregeln keinen systematischen Einfluss auf das Investitionsprogramm ausübt. Die Einführung des Principal-Agent-Ansatzes in die Finanzierungstheorie hat insbesondere Ewert zur Untersuchung der Frage veranlasst, ob durch Kapitalstrukturregeln (auch in Kombination mit Ausschüttungsbegrenzungen) erreicht werden kann, dass die Unternehmen eher das first-best Investitionsprogramm realisieren (Ewert, R. 1984; Ewert, R. 1986). Er bejaht diese Frage unter bestimmten Voraussetzungen. Auch Malitz erbringt den sowohl modellhaften wie auch empirischen Nachweis, dass eine bestimmte horizontale Finanzierungsregel zusammen mit einer Ausschüttungsbeschränkung Agency-Kosten zu mindern vermag (Malitz, I. 1986).
Finanzierungsregeln bekämpfen aber Agency-Probleme aus der Fremdfinanzierung durch das Setzen von Mindesteigenkapitalquoten. Dies wird nur erfolgreich sein, wenn Eigenkapital selbst keine Agency-Problem hervorruft. Swoboda schließt daher, dass Finanzierungsregeln ein nur sehr rudimentäres Kriterium zur Verhinderung von Agency-Problemen darstellen (Swoboda, P. 1994). Finanzierungsregeln können aber wie Schneider betont oder auch Süchtig andeutet, durchaus die Funktion haben, dem Kapitalmarkt, insbesondere auch den Stakeholdern, Wohlverhalten und damit Sicherheit der jeweiligen Ansprüche zu signalisieren (Schneider, 1992; Süchting, 1995).
Literatur:
Barnes, P. : The Analysis and Use of Financial Ratios: A Review Article, in: JBFA 1987, S. 449 – 461
Bogen, J.I./Shipman, S. : Financial Handbook, 4. A., New York et al 1964
Brealey, R./Myers, S./Allen, F. : Principles of Corporate Finance, 8. A., New York et al 2006
Buchner, R. : Grundzüge der Finanzanalyse, München 1981
Ewert, R. : Zur Beziehung zwischen Investitionsvolumen, Fremdfinanzierung und Bilanzkennzahlen, in: ZfbF 1984, S. 825 – 841
Ewert, R. : Rechnungslegung, Gläubigerschutz und Agency-Probleme, Wiesbaden 1986
Franke, G./Hax, H. : Finanzwirtschaft des Unternehmens und Kapitalmarkt, 5. A., Berlin et al. 2004
Gallinger, G.W./Healey, P. : Liquidity Analysis and Management, 2. A., Reading et al. 1991
Härle, D. : Finanzierungsregeln und ihre Problematik, Wiesbaden 1961
Härle, D. : Finanzierungsregeln und Liquiditätsbeurteilung, in: Finanzierungs-Handbuch, hrsg. v. Janberg, H., Wiesbaden 1970, S 89 – 110
Härle, D. : Finanzierungsregeln, in: HWF, hrsg. v. Büschgen, H., Stuttgart 1976, Sp. 483 – 491
Hübner, O. : Die Banken. Leipzig 1854 (Nachdruck Frankfurt 1968)
Malitz, I. : On Financial Contracting: The Determinants of Bond Convenants, in: FM 1986, H. 2, S. 18 – 25
Perridon, L./Steiner, M. : Finanzwirtschaft der Unternehmung, 13. A., München 2004
Schacht, K. : Die Bedeutung der Finanzierungsregeln für unternehmerische Entscheidungen, Wiesbaden 1971
Schmidt, R./Terberger, E. : Grundzüge der Investitions- und Finanzierungstheorie, 4. A., Wiesbaden 1997
Schneider, : Erste Schritte zu einer Theorie der Bilanzanalyse, in: WPg 1989, S. 633 – 642
Schneider, D. : Investition, Finanzierung und Besteuerung, 7. A., Wiesbaden 1992
Süchting, J. : Finanzmanagement, 6. A., Wiesbaden 1995
Swoboda, P. : Der Risikograd als Abgrenzungskriterium von Eigen- versus Fremdkapital, in: Information und Produktion, hrsg. v. Stöppler, S., Stuttgart 1985, S 343 – 361
Swoboda, P. : Betriebliche Finanzierung, 3. A., Heidelberg 1994
Swoboda, P. : Finanzierungsregeln, in: HWF, hrsg. v. Gerke, W./Steiner, M., Stuttgart 1995, Sp. 691 – 700
Vodrazka, K. : Zur Aussagefähigkeit der horizontalen Finanzierungsregeln – Ein Epilog zu § 3 KVStG, in: StuW 1972, S. 333 – 347
Vormbaum, H. : Finanzierung der Betriebe, 9. A., Wiesbaden 1995
Wagner, A. : Beiträge zur Lehre von den Banken, Leipzig 1857
Weston, J./Copeland, T. : Managerial Finance, 9. A., Forth Worth 1992
Wissenbach, H. : Die Bedeutung der Finanzierungsregeln für die betriebliche Finanzpolitik, in: ZfbF 1964, S. 447 – 456
Wöhe, G./Bilstein, J. : Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, 9. A., München 2002

 

 


 

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