Latente Steuern
Inhaltsübersicht
I. Konzepte der Ertragsteuerabgrenzung
II. Abzugrenzende Differenzen
III. Feststellung der Ertragsteuersätze
IV. Aktivierung latenter Steuern
V. Passivierung latenter Steuern
VI. Saldierung und Ausweis latenter Steuern
I. Konzepte der Ertragsteuerabgrenzung
1. GuV-orientierte Abgrenzung
Handelsrechtlicher und ertragsteuerlicher Gewinn und Verlust können sich unterscheiden. Als Folge hiervon kann der tatsächliche Steueraufwand, der sich aus der Steuerbilanz ergibt und in der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) auszuweisen ist, von dem fiktiven Steueraufwand abweichen, der sich bei Besteuerung des Gewinns der Handelsbilanz ergeben würde. Übersteigt dieser fiktive Steueraufwand den tatsächlichen Steueraufwand, so liegt grundsätzlich ein in der handelsrechtlichen GuV anzusetzender latenter Steueraufwand vor. Der Ansatz des latenten Steueraufwands bezweckt, das handelsrechtliche Ergebnis mit dem in der handelsrechtlichen GuV ausgewiesenen Steueraufwand zu koordinieren, damit ein periodengerechter Jahreserfolg ermittelt wird. Die Gefahr einer zu positiven Darstellung der möglichen Ausschüttungen und der Ertragslage droht auch deshalb, weil häufig nur der Totalgewinn handels- und steuerrechtlich abweichend periodisiert wird, sodass mit einer Umkehrung der Verhältnisse zu rechnen ist (Moxter, 1986). Unterschreitet der fiktive Steueraufwand hingegen den tatsächlichen Steueraufwand, so ist grundsätzlich ein latenter Steuerertrag in der handelsrechtlichen GuV zu erfassen, da andernfalls das handelsrechtliche Ergebnis zu ungünstig erscheinen würde.
Aus der Sicht einer periodengerechten Gewinnermittlung liegt ein latenter Steueraufwand bzw. ein latenter Steuerertrag dann vor, wenn sich die abweichenden handels- und steuerrechtlichen Ergebnisse in der Zukunft ausgleichen werden (beispielsweise, wenn der derivative Geschäfts- oder Firmenwert unterschiedlich abgeschrieben wird (§ 255 IV Satz 2 HGB; § 7 I Satz 3 EStG)), mithin zeitlich begrenzte Differenzen (timing differences) bestehen. Bei zeitlich unbegrenzten Differenzen (permanent differences), die aus steuerrechtlichen Vorschriften resultieren (etwa Abzugsverbot von Geldbußen (§ 4 V Nr. 8 Satz 1 EStG) oder Steuerfreiheit von Investitionszulagen (§ 9 InvZulG)), ist mit einer künftigen Kompensation nicht zu rechnen; der handelsrechtliche und der steuerrechtliche Totalgewinn unterscheiden sich endgültig, sodass solche permanenten Differenzen den Perioden zuzurechnen sind, in denen die zugrunde liegenden steuerrechtlichen Tatbestände verwirklicht wurden (Schildbach, 1998). Zeitlich unbegrenzte Differenzen können auch durch handelsrechtliche Regeln verursacht werden (etwa bei einer Neubewertung von Sachanlagen, sofern Wertänderungen erfolgsneutral in eine Rücklage für Neubewertungen (revaluation surplus) eingestellt werden (IAS 16.31, 16.39 f.)). Diese permanenten Differenzen (im Beispiel als Folge eines differierenden Abschreibungsvolumens) sind nicht abgrenzbar, da die zentrale Voraussetzung für die Aktivierung latenter Steuern, das Vorliegen von zu periodisierendem latenten Steueraufwand bzw. latenten Steuerertrag, nicht erfüllt ist (in der Periode der Neubewertung wird ein adäquater Steueraufwand ausgewiesen).
Temporäre Differenzen sind in der Handelsbilanz abzugrenzen: Ein latenter Steueraufwand (als Folge eines – am Handelsbilanzgewinn gemessen – zu niedrigen tatsächlichen Steueraufwands) führt zur Passivierung latenter Steuern, sodass in den späteren Perioden ein auflösungsbedingter latenter Steuerertrag zur Verfügung steht, um den dann zu hohen tatsächlichen Steueraufwand zu kompensieren. Passive latente Steuern sind im Einzelabschluss aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips (§ 5 I EStG) eher die Ausnahme; sie entstehen, wenn Erträge handelsrechtlich früher als steuerrechtlich realisiert werden bzw. Aufwendungen handelsrechtlich später als steuerrechtlich erfasst werden (beispielsweise, wenn Aufwendungen für Ingangsetzung und Erweiterung als Bilanzierungshilfe aktiviert werden (§ 269 Satz 1 HGB) oder wenn die steuerrechtlichen Gebäudeabschreibungen die handelsrechtlichen übersteigen (§ 7 IV, V EStG)). Ein latenter Steuerertrag hingegen führt zur Aktivierung latenter Steuern, sodass mit der späteren Auflösung ein kompensierender latenter Steueraufwand verbunden ist. Aktive latente Steuern liegen vor, wenn Erträge handelsrechtlich später als steuerrechtlich entstehen bzw. Aufwendungen handelsrechtlich früher als steuerrechtlich anfallen (etwa bei Drohverlustrückstellungen (§ 249 I Satz 1 HGB; § 5 IVa EStG) oder beim derivativen Geschäfts- und Firmenwert, wenn in der Handelsbilanz auf einen Ansatz verzichtet wird (§ 255 IV Satz 1 HGB) oder eine schnelle Abschreibung erfolgt (§ 255 IV Satz 2 HGB; § 7 I Satz 3 EStG)).
Im Konzernabschluss können temporäre latente Steuern außerdem auch durch Konsolidierungsdifferenzen verursacht werden, sodass die aggregierten Steueraufwendungen dem Konzerngewinn nicht entsprechen (Schmidt, M. 2000; Becker, W. 1991); aktive und passive latente Steuern koordinieren auch hier den Konzerngewinn mit dem in der Konzern-GuV ausgewiesenen Steueraufwand (Coenenberg, /Hille, 1994). Latente Steuern im Konzernabschluss entstehen häufig infolge der Zwischenergebniseliminierung (§ 304 HGB): Indem Zwischengewinne eliminiert werden, weicht das Ergebnis des Konzernabschlusses gemeinhin von den Ergebnissen der Steuerbilanzen ab, da diese auf den handelsrechtlichen Einzelabschlüssen basieren. Aber auch eine nicht erfolgsneutral vollzogene Kapitalkonsolidierung (§§ 301 f. HGB) oder eine nicht erfolgsneutral durchgeführte Schuldenkonsolidierung (§ 303 HGB) können latente Steuern bewirken (weitere Ursachen und Details siehe Debus, 2003).
Die §§ 274, 306 HGB definieren latente Steuern zunächst GuV-orientiert: Aktive (passive) latente Steuern liegen vor, wenn der dem Geschäftsjahr oder früheren Geschäftsjahren zuzurechnende Aufwand zu hoch (zu niedrig) ist, weil der nach den steuerrechtlichen Vorschriften zu versteuernde Gewinn höher (niedriger) als das handelsrechtliche Ergebnis ist, und sich dieser zu hohe (zu niedrige) Steueraufwand in späteren Geschäftsjahren voraussichtlich wieder ausgleichen wird. Der Gesetzeswortlaut hat dazu verleitet, dass latente Steuern häufig im Sinne der Dynamischen Bilanz als der Periodisierung dienende Rechnungsabgrenzungsposten interpretiert werden (Ordelheide, /Hartle, 1986). Diese Deutung drängt zurück, dass die latenten Steuern in eine an die Statische Bilanz erinnernde Vermögenskonzeption eingebunden sind (Siegel, 1987): Passive latente Steuern sind als Rückstellungen (§§ 274 I, 306 HGB verweisen auf § 249 I Satz 1 HGB) passivierungspflichtig und mindern somit als wirtschaftlich verursachte ungewisse Verbindlichkeiten den ausschüttbaren Gewinn von Kapitalgesellschaften. Aktive latente Steuern dürfen hingegen im Einzelabschluss von Kapitalgesellschaften nur als Bilanzierungshilfe, die von einer Ausschüttungssperre flankiert wird, angesetzt werden (§ 274 II HGB); sie gelten dem Vorsichtsprinzip entsprechend als nicht hinreichend sicher, um als realisierte, den verteilbaren Gewinn erhöhende Forderungen aktiviert zu werden (Döllerer, 1987). Im Konzernabschluss sind aktive latente Steuern als Abgrenzungsposten gemäß § 306 HGB ansatzpflichtig; Vorsichtserwägungen werden zugunsten einer weitergehenden Informationspflicht relativiert (v. Wysocki, 1987).
Die latenten Steuern verfolgen im geltenden Handelsbilanzrecht eine an die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung angelehnte Konzeption vermögensgebundener Steuerabgrenzung. Im Einzelabschluss dienen die latenten Steuern nicht primär der Information (sonst müsste anstelle des Wahlrechts eine Pflicht zur Aktivierung bestehen), sondern vielmehr der vorsichtsgeprägten Ausschüttungsregelung (daher auch die Ausschüttungssperre bei Aktivierung als Bilanzierungshilfe). Im ausschließlich informationsorientierten Konzernabschluss sind Vorsichtserwägungen weniger gewichtig; die Aktivierungspflicht erscheint hier sachgerecht, um am handelsrechtlichen Gewinn gemessen den Steueraufwand zutreffend zu periodisieren.
2. Bilanzorientierte Abgrenzung
Aus einer vermögensgeprägten Perspektive haben die latenten Steuern die Aufgabe, diejenigen steuerlichen Be- oder Entlastungen zu erfassen, die sich aus abweichenden handels- und steuerrechtlichen Bewertungen ergeben, wenn sich die Bewertungsunterschiede künftig ausgleichen werden und sich dabei der handelsrechtliche Gewinn von den steuerlichen Bemessungsgrundlagen unterscheiden wird (Coenenberg, /Hille, 1997). Übersteigt die steuerliche Bewertung des Vermögens den handelsrechtlichen Wertansatz (weil etwa nur handelsrechtlich zulässige Abschreibungen gemäß § 253 IV HGB vorgenommen wurden), so ist aus der Sicht der Handelsbilanz in Zukunft eine Steuerentlastung zu erwarten (und zwar insoweit die – gegenüber den handelsrechtlichen Abschreibungen – erhöhten steuerlichen Abschreibungen die Ertragsteuern mindern werden); die aktiven latenten Steuern (deferred tax assets) korrigieren das handelsrechtliche Vermögen um diese künftigen latenten Steuerminderungen. Unterschreitet hingegen die steuerliche Bewertung des Vermögens den handelsrechtlichen Wertansatz, so ist entsprechend das handelsrechtliche Vermögen mittels passiver latenter Steuern (deferred tax liability) um die latenten Steuerlasten zu korrigieren.
Die bilanzorientierte Steuerabgrenzung verfolgt das Ziel, das handelsrechtliche Vermögen von denjenigen zukünftigen Steuerwirkungen zu befreien, die aus handels- und steuerrechtlich abweichenden Bilanzierungen stammen; für die vermögensorientierte Steuerabgrenzung ist somit entscheidend, dass die steuerlichen Be- und Entlastungen, die sich aus der künftig erfolgswirksamen Auflösung der Bewertungsdifferenzen ergeben werden, durch die künftig ebenfalls erfolgswirksame Auflösung der latenten Steuern neutralisiert werden. Nicht maßgebend ist hingegen – anders als bei einer GuV-orientierten Abgrenzung – , ob die Bewertungsdifferenzen aus ursprünglichen Ergebnisdifferenzen resultieren (wie im Falle von Abschreibungen gemäß § 253 IV HGB); auch erfolgsneutral entstandene Bewertungsdifferenzen können somit latente Steuern verursachen (beispielsweise bei eigenkapitalerhöhenden Neubewertungen von Sachanlagen (IAS 16.31, 16.39 f.; kritisch Schildbach, 1998)).
Aus dem Konzept bilanzorientierter Steuerabgrenzung folgt, dass jeder Aktiv- und jeder Passivposition jeweils ein Steuerwert zugeordnet wird, der zeigt, wie sich die Auflösung der jeweiligen Bilanzposition voraussichtlich auf die steuerlichen Bemessungsgrundlagen auswirken wird. Entsprechen sich der Steuerwert und der handelsrechtliche Buchwert – dies dürfte aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips (§ 5 I EStG) die Regel sein – , so sind im Vergleich zum handelsrechtlichen Gewinn weder höhere noch niedrigere steuerliche Bemessungsgrundlagen zu erwarten; die künftigen Steueraufwendungen passen mithin zu den künftigen handelsrechtlichen Gewinnen. Weicht der Steuerwert vom handelsrechtlichen Buchwert ab, so sind latente Steuern zu aktivieren, wenn mit einer relativen Steuerentlastung zu rechnen ist, und zu passivieren, wenn eine relative Steuerbelastung zu befürchten ist.
Den Steuerwert (tax base) einer Vermögensposition beschreibt IAS 12.7 als die steuerlichen Aufwendungen (etwa Abschreibungen und Restbuchwert), die von den steuerpflichtigen Erträgen (etwa Umsatz- und Veräußerungserlöse) abgezogen werden können. Der Steuerwert einer Schuld entspricht dem Buchwert, soweit nicht künftig steuerliche Aufwendungen abzugsfähig sind (IAS 12.8). Ein Steuerwert kann auch dann vorliegen (IAS 12.9), wenn eine Vermögensposition oder eine Schuld handelsrechtlich nicht bilanziert werden darf, aber steuerlich angesetzt und später erfolgswirksam aufgelöst werden muss. In Konzernabschlüssen wird der Steuerwert von Vermögenspositionen und Schulden durch das Steuerrecht bestimmt, auf dessen Grundlage die zurechenbaren Ergebnisse besteuert werden (IAS 12.11).
Die Frage, ob latente Steuern im Zugangszeitpunkt erfolgswirksam oder erfolgsneutral zu bilanzieren sind, ist bei einer bilanzgeprägten Betrachtung abhängig davon zu beurteilen, ob die zugrunde liegenden Bewertungsdifferenzen erfolgswirksam oder erfolgsneutral entstanden sind (IAS 12.57). Liegen den abweichenden Bewertungen erfolgswirksame Vorgänge zugrunde (etwa weil handels- und steuerrechtlich unterschiedlich abgeschrieben wurde), so sind auch die latenten Steuern erfolgswirksam zu erfassen (IAS 12.58), da andernfalls die handelsrechtlichen Erträge nicht mit einem korrespondierenden Steueraufwand belastet werden. Resultieren hingegen die unterschiedlichen Bewertungen aus erfolgsneutralen Vorgängen (etwa weil Neubewertungen direkt mit dem Eigenkapital verrechnet wurden (IAS 12. 61 ff.)), so sind die latenten Steuern ebenfalls erfolgsneutral zu bilden (IAS 12.58), da ansonsten die Steueraufwendungen nicht mit den handelsrechtlichen Erträgen harmonieren.
Einer bilanziellen Vermögensermittlung ist immanent, dass künftige Zahlungen diskontiert werden; auch Steuerzahlungen, die sich aus abweichenden Wertansätzen ergeben, sind mithin zum Barwert anzusetzen (zum Konflikt mit dem GuV-orientierten Realisationsprinzip siehe Karrenbrock, 1991). Aus Vereinfachungs- und Objektivierungsgründen verbietet allerdings IAS 12.54 die Abzinsung latenter Steuern. Mit der bilanzorientierten Abgrenzungskonzeption ist zu vereinbaren, dass latente Steuern an jedem Stichtag zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu bewerten sind (IAS 12.56).
Die US-amerikanischen Generally Accepted Accounting Principles und die diesen folgenden International Accounting Standards (IAS), mittlerweile International Financial Reporting Standards (IFRS), waren ursprünglich durch das Konzept einer GuV-orientierten Steuerabgrenzung geprägt. Mit dem Inkrafttreten des SFAS 109 im Jahre 1992 wechselte das Leitbild; die US-GAAP lehnen sich nunmehr an das Konzept einer bilanzorientierten Steuerabgrenzung an (SFAS 109.10 ff; Epstein, /Nach, et al. 2005). Dem Konzeptionswechsel schlossen sich die internationalen Rechnungslegungsstandards an (Förschle, 1998); der überarbeitete IAS 12 trat im Jahre 1998 in Kraft.
II. Abzugrenzende Differenzen
1. Timing, quasi-permanente und permanente Differenzen
Der Konzeption GuV-orientierter Steuerabgrenzung entspricht, lediglich diejenigen Differenzen zwischen tatsächlichem Steueraufwand und handelsrechtlichem Gewinn zu periodisieren, die sich in der Totalperiode kompensieren (timing differences). Künftig sich nicht ausgleichende Differenzen (permanent differences) sind durch Ereignisse der Entstehensperiode wirtschaftlich verursacht und können daher nicht mittels latenter Steuern abgegrenzt werden. Aus konzeptioneller Sicht spricht gegen eine Periodisierung allerdings nicht, dass sich die Differenzen erst nach längerer Zeit oder bei Betriebsaufgabe ausgleichen (so häufig beim nicht abnutzbaren Anlagevermögen); die Konzeption periodengerechter Periodisierung kann sich sinnvoll nur auf die Lebensdauer des Unternehmens beziehen und umfasst damit auch die Periode der Betriebsaufgabe. Gegen die Abgrenzung quasi-permanenter Differenzen spricht auch nicht das Going-Concern-Prinzip (so aber ADS, 1995), da die fortführungsorientierte Bilanzierung nicht die Annahme eines unendlich existierenden Unternehmens bedingt. Nur die Integration des Fortführungsprinzips (§ 252 I Nr. 2 HGB) in ein totalgewinnbezogenes Periodisierungsprinzip (§ 252 I Nr. 5 HGB) gewährleistet bei quasi-permanenten Differenzen die Kongruenz zwischen handelsrechtlichem Gewinn und Steueraufwand.
Eine Steuerabgrenzung wird in den §§ 274, 306 HGB auf die Fälle beschränkt, in denen voraussichtlich ein künftiger Ausgleich des zu hohen oder zu niedrigen Steueraufwands erfolgen wird. Dies wird gemeinhin dahingehend gedeutet, dass latente Steuern nur dann zu bilanzieren sind, wenn sich die Differenzen in absehbarer Zeit wieder ausgleichen werden (Ordelheide, /Hartle, 1986) oder wenn ein Ausgleich nicht automatisch erfolgt, sondern eine künftige Disposition bedingt (Coenenberg, /Hille, 1994). Sowohl der Wortlaut als auch der Normzweck legen hingegen nahe, den Steueraufwand vermögensgbunden zu periodisieren, also latente Steuern unter dem Aspekt abzugrenzen, dass hinreichend sicher mit einer Kompensation zu rechnen ist (wie häufig beim nicht abnutzbaren Anlagevermögen). Bei Differenzen, die sich erst langfristig oder von künftigen Dispositionen abhängig ausgleichen können, ist aufgrund der Prognoseunsicherheit die voraussichtliche Kompensation besonders kritisch zu prüfen; dies gilt wegen des Vorsichtsprinzips (§ 252 I Nr. 4. 1. Halbsatz HGB) insbesondere bei aktiven latenten Steuern.
2. Temporary Differences
Temporary differences liegen vor, wenn die handelsrechtlichen Bewertungen von den jeweiligen Steuerwerten abweichen, sodass künftig Steuern zu zahlen sind, die aus handelsrechtlicher Sicht nicht angemessen erscheinen. Die bilanzorientierte Steuerabgrenzung ist umfassender als die GuV-orientierte, da über timing differences hinaus auch temporary differences zu bilanzieren sind: Für das temporary-Konzept ist entscheidend, dass die zu erwartenden Steuerzahlungen nicht mit den zukünftigen handelsrechtlichen Erfolgen äquivalent sind; unerheblich ist hingegen, ob diese Inäquivalenzen aus Ergebnisdifferenzen abgeschlossener Perioden resultieren. Permanente Differenzen begründen – da sich diese abweichenden Bewertungen nicht steuerwirksam auflösen werden – auch nach dem temporary-Konzept keine Steuerabgrenzung.
Latente Steuern sind zu passivieren, wenn der handelsrechtliche Buchwert eines Vermögensgegenstandes (einer Schuld) seinen Steuerwert übersteigt (unterschreitet), mithin taxable temporary differences bestehen, die später – am handelsrechtlichen Gewinn gemessen – steuerlich belastend wirken (IAS 12.15). Diese taxable temporary differences lösen sich etwa abschreibungs- oder veräußerungsbedingt auf, sodass Steuern zu zahlen sind, die nicht dem handelsrechtlichen Gewinn entsprechen. Mit der Auflösung der latenten Steuer synchron zur Verminderung der taxable temporary differences werden Erträge ausgewiesen, die die Steueraufwendungen an die handelsrechtlichen Gewinne periodengerecht anpassen (Coenenberg, /Hille, 1997).
Zu aktivieren sind latente Steuern, wenn der handelsrechtliche Buchwert eines Vermögensgegenstandes (einer Schuld) seinen Steuerwert unterschreitet (übersteigt), also deductible temporary differences vorliegen, die später – bezogen auf den handelsrechtlichen Gewinn – steuerliche Entlastungen bewirken (IAS 12.24). Die Aktivierung latenter Steuern bedingt, dass künftig zu versteuerndes Einkommen wahrscheinlich vorhanden sein wird, um die steuerlichen Vorteile, die mit der Auflösung einhergehen, auch nutzen zu können (IAS 12 .24).
III. Feststellung der Ertragsteuersätze
1. Accrual Method
Eine GuV-orientierte Steuerabgrenzung kann zum einen dazu dienen, nur denjenigen Gewinn als entziehbar zu qualifizieren, der einen angemessenen Steueraufwand berücksichtigt; sie kann sich zum anderen auch dazu eignen, die Adressaten über die Ertragslage nach Steuern zu informieren. Für periodisierungsgeprägte Ausschüttungs- oder Informationsregelungen ist kennzeichnend, dass der handelsrechtliche Periodengewinn um einen Steueraufwand zu mindern ist, der die steuerliche Belastung dieses Gewinns zeigt; maßgebend sind mithin die steuerlichen Bemessungsgrundlagen und Tarifvorschriften der jeweiligen Periode. Ändern sich die Steuersätze, so sind bei einer GuV-orientierten Steuerabgrenzung bereits gebildete latente Steuern nicht anzupassen, da andernfalls – infolge korrekturbedingter Erträge bzw. Aufwendungen – die Konkordanz zwischen handelsrechtlichem Gewinn und Steueraufwand in der Anpassungsperiode verfehlt werden würde. Die Steueraufwendungen werden im Zeitablauf am wenigsten verzerrt, wenn sich geänderte Steuersätze erst bei planmäßiger Auflösung der latenten Steuern, also meistens über mehrere Perioden verteilt, auswirken.
Die Steuerabgrenzung wird durch die §§ 274, 306 HGB allerdings dahingehend beschränkt, dass sich ein zu hoher oder zu niedriger Steueraufwand voraussichtlich ausgleichen wird. Ob allerdings ein Ausgleich zu erwarten ist, hängt nicht vom gegenwärtigen Steuerrecht ab, sondern wird durch die künftigen Vorschriften über die steuerlichen Bemessungsgrundlagen und Tarife bestimmt. Zwar können zukünftige Änderungen des Steuerrechts kaum antizipiert werden, sodass aus Objektivierungsgründen gemeinhin das jeweils geltende Steuerrecht bindend ist; dies schließt jedoch im Einzelfall nicht aus, dass mit Veränderungen des Steuerrechts greifbar gerechnet werden kann. Darüber hinaus sind latente Steuern ertrags- bzw. aufwandswirksam aufzulösen, wenn – etwa bei geänderten Steuersätzen – mit einem Ausgleich voraussichtlich nicht mehr zu rechnen ist (§ 274 I, II HGB); dies hat zur Folge, dass in der Auflösungsperiode der Steueraufwand nicht dem handelsrechtlichen Gewinn entspricht. Die Bilanzierung latenter Steuern gemäß §§ 274, 306 HGB kann daher insoweit nicht durch eine GuV-orientierte Abgrenzungskonzeption erklärt werden (Coenenberg, 2005).
2. Liability Method
Die bilanzorientierte liability method dient dazu, die Vermögenswirkungen latenter Steuern zu erfassen. Da die zu erwartenden Be- und Entlastungen durch das künftig geltende Steuerrecht bestimmt werden, sind grundsätzlich die in den jeweiligen Perioden zu erwartenden Steuersätze relevant (Arbeitskreis „ Externe Rechnungslegung “ , 1999). Allerdings kann die zukünftige Entwicklung des Steuerrechts gemeinhin nicht sinnvoll prognostiziert werden; daher ist objektivierungsbedingt das geltende Recht maßgebend, sofern Änderungen nicht gesichert feststehen (IAS 12.47). Durch Regierungen angekündigtes Steuerrecht ist ausnahmsweise dann anzuwenden, wenn die Ankündigung wie das Inkrafttreten wirkt (IAS 12.48).
3. Probleme gespaltener Steuersätze
Ob und in welchem Umfange mit künftigen Steuerbe- und -entlastungen zu rechnen ist, wird durch die in der Auflösungsperiode geltenden Steuertarife bestimmt. Bei Steuersystemen mit gespaltenen Tarifen (z.B. unterschiedliche Belastung inländischer und ausländischer Einkünfte oder abweichende Besteuerung thesaurierter oder ausgeschütteter Gewinne) stellt sich die Frage, welcher Tarif für die Steuerabgrenzung maßgebend ist. Da gemeinhin die künftige Gewinnverwendung nicht nachprüfbar prognostiziert werden kann, stellt sich das Problem, welcher Steuersatz die künftigen Be- oder Entlastungen sachgerecht objektiviert.
Bei der GuV-orientierten accrual method liegt nahe, latente Steuern aufgrund der bekannten Steuerbelastung in der Entstehensperiode zu bilden, da dann zumindest in dieser Periode ein angemessenes Verhältnis von Handelsbilanzgewinn und Steueraufwand gezeigt wird; als unvermeidliche Verzerrung ist bei sich ändernden Steuertarifen allerdings hinzunehmen, dass sich der zu hohe oder zu niedrige Steueraufwand voraussichtlich nicht vollständig ausgleichen wird.
Die bilanzorientierte liability method stellt konzeptionell ausschließlich auf künftige Be- und Entlastungen ab. Daher ist insbes. strittig, ob von einem Thesaurierungs-, Ausschüttungs- oder Durchschnittsteuersatz auszugehen ist (ADS, 1995); dem Vorsichtsprinzip folgend wird auch vorgeschlagen, den höchsten Steuersatz bei künftigen Belastungen und den niedrigsten oder einen durchschnittlichen Steuersatz bei künftigen Entlastungen zu verwenden (Hoyos, /Fischer, N. 2006). Die Auffassung herrscht vor, latente Steuern im Regelfall auf der Grundlage der maximalen Steuerbelastung zu bilden (ADS, 1995).
4. Steuersätze im internationalen Konzern
Die Bestimmung des relevanten Steuersatzes im internationalen Konzern verursacht zunächst keine konzeptionellen Probleme: Sowohl bei der accrual method als auch bei der liability method hängt vom regional geltenden Steuerrecht ab, in welcher Höhe latente Steuern aus timing differences bzw. temporary differences resultieren. Latente Steuern sind – wie jede andere Bilanzposition auch – einzeln zu bewerten, sodass nicht nur in jedem einzelnen Sachverhalt zu prüfen ist, ob eine timing difference bzw. eine temporary difference besteht, sondern auch, welche steuerlichen Be- und Entlastungen sich im Einzelfall aufgrund des jeweils geltenden Steuerrechts ergeben (Coenenberg, /Hille, 1997). Dies gilt grundsätzlich auch hinsichtlich des Konzernabschlusses, der lediglich die Einzelabschlüsse aggregiert.
Erhebliche Mühen bereitet beim Konzernabschluss international tätiger Unternehmen, die durch Konsolidierungen entstandenen timing differences bzw. temporary differences in Bezug zu den jeweiligen nationalen steuerlichen Gewinnermittlungen zu setzen (Förschle, /Kroner, 1996). Hinsichtlich dieser Konsolidierungsdifferenzen erscheint es daher zur Vereinfachung zulässig, latente Steuern nach Maßgabe des durchschnittlichen Konzernsteuersatzes zu bilden (Debus, 2003). Da das Einzelbewertungsprinzip drastisch eingeschränkt wird, erscheint ein konzerneinheitlicher Steuersatz nur zur Bewertung von Konsolidierungsdifferenzen angemessen. Das Vereinfachungsargument überzeugt allerdings nicht hinsichtlich der Differenzen zwischen den Steuerbilanzen und den der Aggregation zugrunde liegenden handelsrechtlichen Einzelabschlüssen; mit vertretbarem Aufwand können timing bzw. temporary differences nach den jeweiligen nationalen Verhältnissen bewertet werden (Lührmann, 1997).
IV. Aktivierung latenter Steuern
1. Handelsrechtliche Rechnungslegung
Die aktive Steuerabgrenzung gemäß §§ 274 II, 306 HGB lässt sich auf zwei Arten von Sachverhalten zurückführen: Latente Steuern können entstehen, wenn Aktiva in der Handelsbilanz niedriger als in der Steuerbilanz bewertet werden (oder im Grenzfall in der Handelsbilanz nicht angesetzt werden), ferner, wenn Passiva in der Handelsbilanz höher als in der Steuerbilanz bewertet werden (oder im Grenzfall in der Steuerbilanz nicht ausgewiesen werden). Eine aktive Steuerabgrenzung setzt allerdings voraus, dass infolge der abweichenden Bilanzierung das handelsrechtliche Ergebnis zunächst niedriger als der zu versteuernde Gewinn ist und dass sich die Ergebnisdifferenzen voraussichtlich künftig umkehren werden.
Als Beispiele sind zu nennen: Beschränkung der handelsrechtlichen Herstellungskosten auf Einzelkosten (§ 255 II HGB; R 6.3 EStG), keine Aktivierung des Geschäfts- und Firmenwerts in der Handelsbilanz (§ 255 IV Satz 1 HGB; § 7 I Satz 3 EStG), handelsrechtliche Bewertung von Rückstellungen zum Erfüllungsbetrag statt zum Barwert (§ 253 I Satz 2 HGB, § 6 I Nr. 3e) und schließlich die handelsrechtliche Passivierung von Drohverlustrückstellungen (§ 249 I Satz 1 HGB; § 5 IVa EStG). Weitere Beispiele siehe ADS (ADS, 1995) sowie Hoyos/Fischer (Hoyos, /Fischer, N. 2006).
§ 274 II HGB räumt Kapitalgesellschaften das Wahlrecht ein, aus solchen timing differences resultierende latente Steuern zu aktivieren. Da aktive latente Steuern jedoch keine Forderungen gegenüber dem Fiskus oder Ansprüche auf Kürzung künftiger Steuerzahlungen begründen, werden weder die Kriterien eines Vermögensgegenstandes noch eines Rechnungsabgrenzungspostens erfüllt (Ordelheide, 1995); sie dürfen daher nur als Bilanzierungshilfe – ergänzt durch eine Ausschüttungssperre – angesetzt werden. Die aktive Steuerabgrenzung basiert auch im Konzernabschluss auf dem GuV-orientierten timing-Konzept, allerdings mit dem Unterschied, dass § 306 HGB eine Ansatzpflicht konstituiert.
Umstritten ist, ob Verlustvorträge zur aktiven Steuerabgrenzung berechtigen: Der Wortlaut und die GuV-orientierte Konzeption des Gesetzes sprechen gegen eine Aktivierung, weil keine Differenz zwischen dem handelsrechtlichen Ergebnis und dem zu versteuernden Gewinn besteht; der Steueraufwand wird mit null Geldeinheiten nicht zu hoch, sondern zutreffend ausgewiesen (Schildbach, 1998; a.A. Siegel, 1987). Dass in Zukunft – bei hinreichenden Gewinnen – ein Vorteil zu erwarten ist, rechtfertigt keine Auslegung contra legem (so aber Ordelheide, 1995); die gesetzliche Konzeption GuV-orientierter Steuerabgrenzung wurde folgerichtig kodifiziert und trägt der besonderen Gefahr Rechnung, Nonvaleurs zu aktivieren. Ob latente Steuern auf Verlustvorträge zu einem den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Verlustausweis führen, erscheint zweifelhaft (so aber Ordelheide, 1995), da Erträge in der Hoffnung realisiert werden, dass sich die Verlustsituation nicht zur Unternehmenskrise ausweiten wird. Besondere Risiken bestehen zudem für das Unternehmen, wenn in einer Krise nicht mehr mit ausreichenden Gewinnen für den Verlustausgleich gerechnet werden kann, da dann die latenten Steuern aufgelöst werden müssen, mithin zusätzlich die Unternehmensverluste erhöhen (Schildbach, 1998).
2. Internationale Rechnungslegung
Die IFRS/IAS folgen – wie auch die US-GAAP (SFAS 109.16 – 25; Epstein, /Nach, et al. 2005; Kieso, /Weygandt, 2005) – dem bilanzorientierten Konzept, sodass aktive latente Steuern (deferred tax assets) anzusetzen sind, wenn deductible temporary differences bestehen (IAS 12.24). Latente Steuern sind somit nicht nur bei timing differences zu aktivieren, sondern auch bei temporary differences, also bei künftigen steuerlichen Entlastungen, die am handelsrechtlichen Gewinn gemessen nicht gerechtfertigt erscheinen, und zwar unabhängig davon, ob sie aus ursprünglichen Ergebnisdifferenzen resultieren. Zu aktivierende latente Steuern können somit aus zwei Gründen vorliegen: Zunächst, weil Vermögenspositionen in der Handelsbilanz niedriger als in der Steuerbilanz bewertet werden, sodass die Summe der künftig steuermindernden Aufwendungen (Steuerwert bzw. tax base) das handelsrechtliche Aufwandsvolumen übersteigt (IAS 12.7); darüber hinaus, weil in der Handelsbilanz Schulden über dem Steuerwert bilanziert werden (IAS 12.8), sodass ebenfalls mit einer relativen Steuerentlastung gerechnet werden kann. Aktivierungspflichtige deferred tax assets können auch dann bestehen, wenn Vermögenspositionen handelsrechtlich bzw. Schulden steuerrechtlich nicht bilanziert werden (IAS 12.9).
Da latente Steuern als assets zu aktivieren sind, ist entscheidend, dass der zukünftige steuerliche Aufwandsüberschuss eine relative Steuerentlastung bewirkt, mithin, dass wahrscheinlich ein steuerpflichtiger Gewinn erzielt wird, der mit den aktivierten latenten Steuern verrechnet werden kann (IAS 12.24-27). Ob wahrscheinlich zu versteuerndes Einkommen verfügbar sein wird, ist danach zu beurteilen, ob temporary differences – gegebenenfalls nach erforderlichen Steuergestaltungen – zeitkongruent gegenüber der gleichen Steuerbehörde verrechnet werden können (IAS 12.28 – 30). Wurden in der jüngeren Vergangenheit Verluste erzielt, so ist überzeugend nachzuweisen, dass künftig hinreichend zu versteuerndes Einkommen verfügbar sein wird (IAS 12.35).
Deductible temporary differences – die nicht gleichzeitig auch timing differences darstellen – sind etwa bei einer erfolgsneutralen niedrigeren Neubewertung von Vermögenspositionen in der Handelsbilanz gegeben (IAS 16.31, 16.39); da das handelsrechtliche Aufwandsvolumen das steuerliche unterschreitet, ist eine spätere Steuerentlastung zu erwarten, die aber nicht – als Folge eines erfolgsneutralen Vorgangs – aus einer Ergebnisdifferenz resultiert. Deferred tax assets können auch bei Verlustvorträgen vorliegen (IAS 12.34): Bei steuerpflichtigen Einkommen in späteren Perioden ist eine relative Steuerentlastung zu erwarten; eine Abgrenzung scheitert – anders als nach §§ 274 II, 306 HGB – nicht daran, dass keine ursprüngliche Ergebnisdifferenz besteht. Ein Ansatz ist allerdings nur insoweit zulässig, als mit hinreichender Wahrscheinlichkeit steuerpflichtige Einkünfte zu erwarten sind; dies ist anhand der allgemeinen Kriterien zu beurteilen (IAS 12.35; zur Kritik siehe Schildbach, 1998). Für weitere Beispiele von deductible temporary differences siehe IAS 12.26.
In Ausnahmefällen untersagen die internationalen Rechnungslegungsstandards die Aktivierung latenter Steuern, obwohl deductible temporary differences bestehen (IAS 12.24). Ein solcher Fall liegt vor, wenn sich die handels- und steuerrechtlichen Zugangswerte von Vermögenswerten und Schulden unterscheiden, der Zugang erfolgsneutral erfolgte und nicht durch einen Zusammenschluss von Unternehmen verursacht wurde (IAS 12.24a, b). Besonderheiten sind zudem bei Verbindungen zwischen Unternehmen zu beachten (IAS 12.24 i.V.m. IAS 12.44).
V. Passivierung latenter Steuern
1. Handelsrechtliche Rechnungslegung
Der passiven Steuerabgrenzung nach den §§ 274 I, 306 HGB liegen zwei Gruppen von Sachverhalten zugrunde: Latente Steuern können entstehen, wenn Aktiva in der Handelsbilanz höher als in der Steuerbilanz bewertet werden (oder im Grenzfall in der Steuerbilanz nicht angesetzt werden), außerdem, wenn Passiva in der Handelsbilanz niedriger als in der Steuerbilanz bewertet werden (oder im Grenzfall in der Handelsbilanz nicht ausgewiesen werden). Eine passive Steuerabgrenzung erfordert jedoch, dass als Folge der unterschiedlichen Bilanzierung das handelsrechtliche Ergebnis zunächst höher als der zu versteuernde Gewinn ist und dass sich die Ergebnisdifferenzen künftig voraussichtlich ausgleichen werden. Der passiven Steuerabgrenzung gemäß §§ 274 I, 306 HGB liegt sowohl im Einzel- als auch im Konzernabschluss das GuV-orientierte timing-Konzept zugrunde; passive latente Steuern sind als Rückstellungen im Sinne von § 249 I Satz 1 HGB ansatzpflichtig.
Als Beispiele können genannt werden: Bewertung des Vorratsvermögens in der Handelsbilanz nach der Fifo-Methode bei steigenden Preisen (§ 256 Satz 1 HGB; § 6 I Nr. 2a Satz 1 EStG i.V.m. R 6.9 I EStR) oder Aktivierung von Ingangsetzungs- und Erweiterungsaufwendungen als nur handelsrechtlich zulässige Bilanzierungshilfe (§ 269 Satz 1 HGB). Weitere Beispiele siehe ADS (ADS, 1995) sowie Hoyos/Fischer (Hoyos, /Fischer, N. 2006).
2. Internationale Rechnungslegung
Passive latente Steuern (deferred tax liabilities) sind dem bilanzorientierten Konzept der internationalen Rechnungslegung folgend anzusetzen, wenn taxable temporary differences existieren (IAS 12.15; zu den US-GAAP siehe SFAS 109.16 ff.; Epstein, /Nach, et al. 2005; Chasteen, /Flaherty, /O\'Connor, 1998). Daher sind latente Steuern nicht nur bei timing differences zu passivieren, sondern auch bei temporary differences, mithin bei künftigen steuerlichen Belastungen, die auf den handelsrechtlichen Gewinn bezogen nicht angemessen erscheinen; für die Passivierung ist somit unerheblich, ob die latenten Steuerlasten aus ursprünglichen Ergebnisdifferenzen resultieren.
Passive latente Steuern können entstehen, wenn Vermögenspositionen in der Handelsbilanz höher als in der Steuerbilanz bewertet werden, sodass das handelsrechtliche Aufwandsvolumen größer ist als die Summe der künftig steuermindernden Aufwendungen (Steuerwert bzw. tax base (IAS 12.7)); außerdem, wenn Schulden in der Handelsbilanz unter dem Steuerwert bilanziert werden (IAS. 12.8), sodass ebenfalls mit einer – am handelsrechtlichen Gewinn gemessen – relativen Steuerbelastung gerechnet werden muss. Deferred tax liabilities können auch dann bestehen, wenn Vermögenspositionen nicht in der Steuerbilanz und Schulden nicht in der Handelsbilanz ausgewiesen werden (IAS 12.9).
Taxable temporary differences – die nicht gleichzeitig auch timing differences darstellen – entstehen etwa bei einer erfolgsneutralen Wertaufstockung von Vermögenspositionen in der Handelsbilanz (IAS 16.31, 16.39). Das handelsrechtliche Aufwandsvolumen überschreitet nunmehr das steuerliche Aufwandsvolumen, sodass später – verglichen mit dem handelsrechtlichen Gewinn – eine Steuerbelastung zu erwarten ist; diese relative Steuerbelastung stammt aber nicht – da eine erfolgsneutrale Höherbewertung des Vermögens erfolgte – aus einer ursprünglichen Ergebnisdifferenz. Unternehmensfusionen können ebenfalls taxable temporary differences verursachen, die nicht als timing differences anzusehen sind, wenn handelsrechtlich die Buchwerte aufgestockt werden, hingegen steuerrechtlich die Buchwerte unverändert bestehen bleiben (IAS 12.18a, 12.19).
Die internationalen Rechnungslegungsstandards verbieten die Passivierung latenter Steuern, obwohl taxable temporary differences gegeben sind, wenn handelsrechtlich ein Geschäfts- und Firmenwert aktiviert und künftig abgeschrieben wird, der steuerrechtlich aber künftig nicht aufwandswirksam werden darf (IAS 12.15a; zur Begründung siehe Coenenberg, /Hille, 1997). Eine weitere Ausnahme von der Passivierung latenter Steuern aus taxable temporary differences besteht, wenn sich die handels- und steuerrechtlichen Zugangswerte von Vermögenswerten und Schulden unterscheiden, der Zugang erfolgsneutral erfolgte und nicht durch einen Zusammenschluss von Unternehmen verursacht wurde (IAS 12.15b). Einschränkungen existieren außerdem bei Verbindungen zwischen Unternehmen (IAS 12.15 i.V.m. IAS 12.39).
VI. Saldierung und Ausweis latenter Steuern
1. Handelsrechtliche Rechnungslegung
Umstritten ist die Saldierung aktiver und passiver latenter Steuern im handelsrechtlichen Einzelabschluss (§ 274 II HGB): Zum einen wird die Auffassung vertreten, dass die Saldierung aktiver und latenter Steuern zulässig sei, da nur die Gesamtdifferenz zu betrachten sei (ADS, 1995); zum anderen wird überzeugend vorgetragen, dass eine bilanzrechtliche Schuld nicht mit einer Bilanzierungshilfe verrechnet werden darf, da qualitativ unterschiedliche Bilanzpositionen bestehen (Döllerer, 1987). Für den Konzernabschluss erlaubt § 306 Satz 3 HGB, die aktiven und passiven latenten Steuern zu saldieren, weil sowohl für die Aktiv- als auch für die Passivpositionen Ansatzpflicht besteht; in Höhe des Differenzbetrages ist entweder ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten oder eine Rückstellung für latente Steuern zu bilanzieren. Latente Steuern sind gesondert auszuweisen und im Anhang zu erläutern (§§ 274, 306 HGB).
2. Internationale Rechnungslegung
Eine Saldierung aktiver und passiver latenter Steuern ist nach IAS 12.74 grundsätzlich unzulässig. Saldiert werden darf ausnahmsweise, wenn sich die aktiven und passiven latenten Steuern auf Ertragsteuern beziehen, die von der gleichen Steuerbehörde erhoben werden (IAS 12.74b). Darüber hinaus besteht die Pflicht, die Hauptbestandteile des Steueraufwands und -ertrags getrennt anzugeben (IAS 12.79 ff.). Wegen des grundsätzlichen Saldierungsverbots und der umfangreichen Angabepflichten besteht ein relativ differenzierter Einblick in die Struktur der Steuerlatenzen.
Literatur:
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Coenenberg, A. G./Hille, K. : Latente Steuern nach der neu gefaßten Richtlinie IAS 12, in: DB 1997, S. 537 – 544
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Förschle, G./Kroner, M. : International Accounting Standards, Offene Fragen zur künftigen Steuerabgrenzung, in: DB 1996, S. 1633 – 1939
Hoyos, M./Fischer, N. : Kommentierung zu §§ 238 bis 339 HGB, in: Beck\'scher Bilanz-Kommentar, hrsg. v. Ellrott, H./Förschle, G./Hoyos, M. et al., 6. A., München 2006
Karrenbrock, H. : Latente Steuern in Bilanz und Anhang, Düsseldorf 1991
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Ordelheide, D./Hartle, J. : Rechnungslegung und Gewinnermittlung von Kapitalgesellschaften nach dem Bilanzrechtlinien-Gesetz (I), in: GmbHR 1986, S. 9 – 19
Schildbach, T. : Latente Steuern auf permanente Differenzen und andere Kuriositäten – Ein Blick in das gelobte Land jenseits der Maßgeblichkeit, in: WPg 1998, S. 939 – 947
Schmidt, M. : Latente Steuern nach den US-GAAP in deutschen Jahresabschlüssen: Wesentliche Konsequenzen einer Steuerabgrenzung gemäß SFAS No. 109 statt nach § 274 und § 306 HGB, in: US-amerikanische Rechnungslegung, hrsg. v. Ballwieser, W., 4. Aufl., Stuttgart 2000, S. 241 – 281
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v. Wysocki, K. : Fragen zur Steuerabgrenzung nach § 274 Abs. 1 HGB, in: ZfbF 1987, S. 829 – 839
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