Financial Engineering
Inhaltsübersicht
I. Begriffsbildung und Überblick
II. Techniken des Financial Engineering
III. Derivative Instrumente
IV. Anwendungsfelder des Financial Engineering
V. Entwicklungstendenzen
I. Begriffsbildung und Überblick
Financial Engineering ist die Anwendung kreativer Finanztechniken zur zielgerichteten Gestaltung von Produkten und Problemlösungen. Konstitutive Merkmale sind hierbei die ganzheitliche Philosophie und der modulare Charakter des Financial Engineering Prozesses (Hampel, /Hammer, 1994). Während im deutschen Schrifttum unter Financial Engineering vor allem Fragestellungen der Projektfinanzierung verstanden werden (Bauer, J. 1988; Swoboda, U. 1992), legt das angelsächsische Schrifttum zu Recht eine breitere Perspektive zugrunde und subsumiert unter Financial Engineering die Entwicklung von Finanzinnovationen und darauf basierender Problemlösungen (Eckl, S./Robinson, J.N./Thomas, D.C. 1990; Smith, C.W./Smithson, C.W./Wilford, D.S. 1989). In einer noch weiter gefassten Sicht kann auch die zielgerichtete Beratung bei Finanzierungs- und Risikomanagementfragen als Financial Engineering aufgefasst werden. In dieser Philosophie versteht sich Financial Engineering als Financial Consulting oder Financial Design (Hampel, W./Hammer, H. 1994).
Financial Engineering hat in vielen Bereichen tradierte Finanzierungstechniken in den Hintergrund gedrängt und Innovationen hervorgebracht, die es erlauben, mit einer gegebenen Kapitalbasis mehr Aktivitäten zu finanzieren, als dies mit den traditionellen Finanzinstrumenten möglich gewesen wäre (Siegert, T. 1993). Dieser Substitutionsprozess ist Ausdruck des zunehmenden Bedürfnisses der Marktteilnehmer nach effizienten Mechanismen des Risikotransfers und der Kapitalallokation in einem Umfeld sprunghaft gestiegener Volatilitäten. Neben dem Streben nach einer optimalen Kapitalallokation unter Rendite- und Risikoaspekten sind oftmals auch unterschiedliche Formen von Marktunvollkommenheiten Auslöser für Prozesse des Financial Engineering. Insoweit Financial Engineering diese Marktunvollkommenheiten reduziert, leistet es einen Beitrag zur Kapitalmarkteffizienz.
Untrennbar verbunden mit dem Phänomen Financial Engineering sind zwei grundlegende Trends auf den Finanzmärkten. Zum einen die ungebremst voranschreitende Globalisierung und Integration der Märkte und zum anderen das immer stärker ausgeprägte Streben nach der Handelbarkeit isolierter Risiken mittels derivativer Instrumente.
Anwendungsfelder des Financial Engineering, auf die im Rahmen dieses Beitrages näher eingegangen werden soll, sind Risikomanagement und Kapitalmarktprodukte, Corporate Finance, Projektfinanzierung und Asset Management. Die Grenzen sind hierbei oftmals fließend, ist es doch für das Financial Engineering gerade charakteristisch, übergreifend und integrativ zu wirken.
II. Techniken des Financial Engineering
1. Securitization
Die Techniken des Financial Engineering lassen sich danach unterscheiden, ob eine Produktinnovation lediglich in der Verbriefung von an sich schon bestehenden Instrumenten oder im Design neuer Cashflow-Strukturen besteht.
Unter Securitization versteht man die Verbriefung von Titeln in Form von Wertpapieren als Voraussetzung für deren Fungibilität und Handelbarkeit. Historisch hat die Securitization ihren Ursprung in der Verbriefung von Forderungen, mit der in den 1980er-Jahren der Trend zur Verlagerung vom Kreditgeschäft zum Investment Banking einsetzte. An die Stelle der Banken als Kreditgeber traten im Zuge der Securitization Investoren, die solche verbrieften Forderungen unmittelbar erwarben. Typische Formen der Securitization sind die Euronote-Fazilitäten, die Commercial-Paper Programme sowie die Transferable Loan Facilities des Eurokreditmarktes (Schierenbeck, H./Hölscher, R. 1993). Auch das gesamte Spektrum der Asset-Backed Securities fällt hierunter. Eine prominente Variante hiervon sind die Brady-Bonds.
Securitization bewirkt eine Integration von Kreditmarkt und Kapitalmarkt. Die mit der Verbriefung einhergehende Standardisierung und Mobilisierung von Titeln verbessert die Markttransparenz und leistet einen Beitrag zur Kapitalmarkteffizienz (Süchting, J. 1988). Im Zuge dieses Prozesses werden die Kreditinstitute in ihrer typischen Funktion als Intermediäre zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern ausgeschaltet. Als Ergebnis dieser Disintermediation tritt an die Stelle der traditionellen Transformationsfunktion der Kreditbanken die nicht bilanzrelevante Intermediation der Investmentbanken. Da die Technik der Securitization trotz der in den letzten Jahren dynamischen Entwicklung der Corporate Bond Märkte nur Emittenten mit hinreichend guter Bonität zur Verfügung steht, birgt dies tendenziell die Gefahr einer adverse selection und damit verbundenen Erosion der Qualität der Kreditportefeuilles der Banken (Süchting, J. 1988). Andererseits wird die zunehmend am Shareholder Value ausgerichtete Politik der Banken zukünftig deutlicher als in der Vergangenheit bei der Bemessung der Zinsmarge die Eigenkapitalkosten einpreisen. Dieser Paradigmenwechsel der kreditgebenden Banken hin zu einem kapitalmarktorientierten Verhalten bei der Kreditvergabe wird den Prozess der Securitization auch und gerade in Deutschland weiter vorantreiben.
Eine ganz andere Zielrichtung hat die Verbriefung isolierter Risiken (und Chancen) in Form von Finanzinnovationen. Hiermit wird den Marktteilnehmern (institutionellen wie privaten – Banken wie Nichtbanken) die Möglichkeit gegeben, ihre Risikopositionen über den Kapitalmarkt den individuellen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten, wodurch sich ganz offenkundig die Effizienz in der Kapital- und Risikoallokation insgesamt deutlich verbessert.
2. Bundling und Unbundling
Anders als die Securitization, die sich darauf beschränkt, ein bereits bestehendes Produkt in institutionell veränderter Form verfügbar zu machen, liegt beim Bundling und Unbundling der Focus des Financial Engineering auf der eigentlichen Produktcharakteristik. Ziel ist hierbei das Design neuer Cashflow-Strukturen. Derartige Innovationsprozesse bestehen entweder darin, existente Finanzprodukte analytisch in ihre elementaren Bausteine auseinanderzubrechen (Unbundling) oder umgekehrt aus elementaren Bausteinen komplexe Instrumente zu bilden, die in dieser Form bislang nicht verfügbar waren (Bundling). Dieser modulare Charakter der Produktgestaltung basiert auf Arbitrageprozessen, da grundsätzlich jedwedes Instrument in seiner Cashflow-Charakteristik über synthetische Positionen dupliziert werden kann (Perridon, L./Steiner, M. 1999). Diese Duplizierung kann statisch erfolgen oder im Falle des dynamischen Replicating mittels eines kontinuierlichen Anpassungsprozesses. Eine prominente Anwendung hiervon ist der Delta-Hedge für Optionen.
Eine besondere Variante des Unbundling ist das Asset Stripping, das erstmals Mitte der 1980er-Jahre mit Treasuries praktiziert wurde. Hierbei wurden in einem ersten Schritt die Zins-Coupons von den Bonds abgetrennt. In einem zweiten Schritt wurden dann Coupons und Bonds im Zuge des Repackaging von einem Trust als eigenständige Zero-Bonds den Investoren angeboten. Aus den ursprünglichen Treasury Bonds mit festem Kupon wurden auf diese Weise zuvor im Treasury Markt nicht existente Zero-Bonds.
Beim Bundling und Unbundling von Finanzprodukten nehmen die derivativen Instrumente eine dominante Stellung ein. Financial Futures, Swaps, Optionen und hybride Instrumente wie Caps, Floors, Collars oder Swaptions machen es möglich, Produkte mit jeder beliebigen Charakteristik zu gestalten. So komplex und exotisch ein bestimmtes Finanzprodukt auch immer sein mag, es lässt sich letztendlich immer in die gleichen elementaren Bausteine zerlegen. Diese Bausteine können in einem additiven Prozess des Financial Engineering nach dem Baukastenprinzip zu immer neuen Produkten zusammengefügt werden (Strukturierte Produkte). Umgekehrt können komplexe Produkte ihrerseits wieder in die sie konstituierenden Bausteine zerlegt werden. Einen elementaren Baustein in diesem Prozess stellen die Optionen dar. So ist es nicht verwunderlich, dass erst die Etablierung von Optionsbörsen Anfang der 1980er-Jahre den bis heute unvermindert anhaltenden Siegeszug der Finanzinnovationen möglich gemacht hat.
III. Derivative Instrumente
Innovative Produkte beinhalten charakteristischerweise in der einen oder anderen Form derivative Instrumente. Insofern werden die Produktattribute innovativ und derivativ oftmals fast synonym gebraucht. Den derivativen Instrumenten kommt im Zuge des Financial Engineering eine duale Dimension zu, denn sie sind gleichermaßen Ergebnis und Instrumente des Financial Engineering.
Auch wenn derivative Instrumente sich historisch bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, kam der entscheidende Impuls erst mit der Etablierung der Termin- und Optionsmärkte, die in standardisierten Kontrakten den Handel mit diesen Risiken ermöglichen. Daneben entwickelten sich seit Beginn der 1980er-Jahre umfangreiche Swapmärkte. Der Grund für die enorme Expansion der Swapmärkte liegt auf der Hand: Kein anderes Instrument ermöglicht einen vergleichbar flexiblen und effizienten Mechanismus zur Transformation von Risikopositionen. Swapmärkte bestehen nicht nur in den Zins- und Devisenmärkten, sondern inzwischen auch in den Aktien- und Commodity-Märkten. Überdies kommen Swaps zum Zwecke der Kreditarbitrage und Kapitalmarktarbitrage zum Einsatz. In beiden Fällen ermöglichen sie den Emittenten, bei der Mittelaufnahme ihre komparativen Vorteile auszunutzen.
Das Vordringen derivativer Instrumente hat für die Banken eine Dimension der Intermediation mit sich gebracht, die als Risikointermediation zu bezeichnen ist. Risiken werden seitens der Banken von bestimmten Marktteilnehmern übernommen und in eine Form transformiert, in der sie an andere Marktteilnehmer weitergegeben werden können.
Die Verfügbarkeit derivativer Instrumente verbessert die Marktliquidität und senkt zugleich die Kosten des Risikotransfers. Die damit einhergehende verbesserte Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte hat auch eine realwirtschaftliche Dimension. Denn letztlich fördert die Existenz derivativer Instrumente die Bereitschaft zur Übernahme von Risiken und wirkt damit positiv auf den industriellen und technologischen Fortschritt (Monroe, A. 1992).
IV. Anwendungsfelder des Financial Engineering
1. Risikomanagement
Mitte der 1970er-Jahre begannen sich die Rahmenbedingungen für die leistungswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Dispositionen der Unternehmen dramatisch zu verändern. Mit dem Ende des Gold-Devisenstandards von Bretton Woods im Jahre 1973 setzte die bis heute anhaltende Phase flexibler Devisenkurse ein. Mit einem Schlag war vielen Unternehmen plötzlich ihre feste Planungs- und Kalkulationsgrundlage entzogen. Die Herausforderung der Unternehmen blieb jedoch nicht auf das Devisenkursrisko beschränkt. Die folgende Ölkrise beendete die Periode bis dahin niedriger und stabiler Inflationsraten. Die aufkommenden Inflationsrisiken führten nicht nur zu überaus volatilen Commodity-Märkten, sondern auch zu einer bis dahin nicht gekannten Volatilität in den Zinsmärkten. Diese Devisenkurs- und Zinsrisiken konfrontierten den Corporate Treasurer mit einer neuen Herausforderung. Risikomanagement war von nun an unverzichtbar geworden. Mit der Etablierung der entsprechenden Futures- und Optionsmärkte war alsbald ein effizientes Instrumentarium für das Risikomanagement verfügbar, das gegenüber den traditionellen OTC-Techniken nachhaltige Vorteile aufwies, die vor allem in der Standardisierung und Fungibilität der Kontrakte und der damit verbundenen deutlich erhöhten Marktliquidität, Markttransparenz und nicht zuletzt Markteffizienz bestehen. Das Zins- und Devisenmanagement nimmt inzwischen in den Treasury-Abteilungen der Unternehmen einen zentralen Platz ein und findet sich mitunter sogar als Profit Center etabliert.
Die mit den gestiegenen Volatilitäten auf den Devisen- und Zinsmärkten einhergehenden Risiken eröffneten für die Banken ein völlig neues Geschäftsfeld, nämlich die Unterstützung der Unternehmen bei deren Risikomanagement mit entsprechenden Konzepten und Instrumenten. Basierend auf dem in Zuge des Aufbaus der eigenen Asset-/Liability-Managements gewonnenen Know-hows ist die Entwicklung von Treasury-Produkten für das Risikomanagement eines der am dynamischsten expandierenden Geschäftsfelder der Banken in den letzten Jahren gewesen.
Auch für das Risikomanagement von Versicherungen, deren Geschäftstätigkeit ex definitione in der professionellen Übernahme von Risiken besteht, hat sich Anfang der 1990er-Jahre eine neue Dimension eröffnet. Mit der Aufnahme des Handels im Catastrophe Insurance Future am Chicago Board of Trade im Dezember 1992 wurde erstmals der Transfer von originären Versicherungsrisiken auf dem Kapitalmarkt möglich. Diese Form der Financial Reinsurance hat einen entscheidenden Beitrag zur Integration von Versicherungsmarkt und Kapitalmarkt geleistet. Der Transfer von versicherungstechnischen Risiken auf den Kapitalmarkt hat in den letzten Jahren mit der Emission von Anleihen von Versicherungsunternehmen, deren Kupon von bestimmten Schadensereignissen abhängt, einen weiteren Innovationsschub erhalten.
2. Kapitalmarktprodukte
Investment Banking ist die Intermediation zwischen Emittenten und Investoren mit dem Ziel, den Kapitalbedarf des Emittenten durch die Plazierung eines entsprechenden Produktes bei den Investoren zu decken. Da das Interesse des Emittenten an einer möglichst günstigen Plazierung seiner Titel in Einklang zu bringen ist mit dem Interesse der Investoren an einem möglichst attraktiven Produkt, kommt der Produktgestaltung entscheidende Bedeutung zu. Financial Engineering ist hierbei oftmals der entscheidende Schlüssel zum Erfolg und erklärt die ungebrochene Kreativität, mit der das Investment Banking seit Mitte der 1980er-Jahre eine Vielfalt innovativer Kapitalmarktprodukte hervorgebracht hat.
Auf jene Formen der Securitization, bei der die Investment Bank als Intermediär zu Lasten des traditionellen Kreditgeschäfts eintritt, ist schon eingegangen worden. Eine zweite Variante der Securitization, der in den Medien lebhafte Publizität zuteil wird, vollzieht sich über die Emission derivativer oder strukturierter Produkte. Hierunter fällt der vor allem in Deutschland seit Ende der 1980er-Jahre dynamisch expandierende Markt für Warrants in ihren verschiedensten Spielarten und Konstruktionen.
Auch wenn von den derzeit an deutschen Börsen gehandelten Optionsscheinen die überwiegende Zahl auf Plain-Vanilla-Warrants entfällt, haben sich verschiedene exotische Konstruktionen von Optionsscheinen fest etabliert. Die Emission von Warrants ist aus der Sicht des Emittenten ein reines Arbitragegeschäft. Dem emittierten Warrant steht auf der anderen Seite ein entsprechendes Deckungsgeschäft (Hedge) gegenüber. Die Leistung des Emittenten besteht somit im wesentlichen in der Verbriefung dieses Optionsgeschäftes als Warrant und im Market Making für den Anleger. Den Emittenten ermöglichen exotische Produkte überdurchschnittlich hohe Margen. Denn zum einen nimmt mit einem steigendem Komplexionsgrad der Produkte für den Investor die Transparenz tendenziell ab, wodurch der Emittent mit solchen Exoten in keiner unmittelbaren Preis- und Arbitragekonkurrenz zu den übrigen Emittenten steht.
Mitunter sind juristische und steuerliche Sachverhalte Auslöser für derartige Innovationen. So sind Fonds durch das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften beim Einsatz derivativer Instrumente aus dem OTC-Markt enge Grenzen gesetzt. Durch die Verbriefung von OTC-Instrumenten kann diese Restriktion umgangen werden. Eine steuerinduzierte Finanzinnovation stellten die Capped Warrants dar. Das Konzept bestand darin, zwei Warrants dergestalt miteinander zu kombinieren, dass sich für den Investor zwar de facto ein risikoloses Investment in Form eines synthetischen Zerobonds ergab, jedoch der Zinsertrag nicht zu versteuern war, da es sich bei den den synthetischen Zerobond konstituierenden Einzeltransaktionen um Optionsgeschäfte handelte, deren Erträge nach Ablauf der Spekulationsfrist steuerfrei waren. Zwischenzeitlich hat der deutsche Gesetzgeber zwar versucht, diesen Produkten steuerlich einen Riegel vorzuschieben, ohne damit jedoch alle Gestaltungsmöglichkeiten erfassen zu können.
Mittels der Technik des Bundling und des Einsatzes derivativer Instrumente, namentlich Optionen, lassen sich aus bestehenden einfachen Produkten komplexe neue Produkte kreieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von strukturierten Finanzprodukten (Braddock, J.C. 1997). Optionen, die als Bausteine in komplexe Produkte Eingang finden, werden als embedded options bezeichnet. Solche embedded options finden sich beispielsweise in der traditionellen Wandelanleihe. Wandelanleihen haben in den letzten Jahren einen ungeahnten Aufschwung genommen. Dem rapide gestiegenen Investoreninteresse nach diesen Instrumenten haben die Emittenten bereitwillig entsprochen. So wie die Wandelanleihe aus Sicht des Unternehmens eine Kapitalmarktfinanzierung zu günstigen Konditionen ermöglicht, ist sie in einem Umfeld niedriger Zinsen für viele Anleger die Ultima Ratio auf der Suche nach attraktiven Anlageformen bei begrenztem Risiko. Diese Anlegergruppe – auch als atypische Equity-Investoren bezeichnet – erkaufen sich um den Preis einer unter dem Kapitalmarkt liegenden Verzinsung die beste aller Welten: an steigenden Aktienkursen partizipieren sie über das Wandlungsrecht und verbessern damit ihre Anlagerendite weit über den Marktzinssatz. Auf der anderen Seite gehen sie (über die Opportunitätskosten der Minderverzinsung hinaus) kein Risiko ein, da Zins- und Kapitalrückzahlung gesichert sind. Infolge dieser Philosophie beschränkt sich die Investorennachfrage weitgehend auf Wandelanleihen von Emittenten mit guter Bonität. Neben der klassischen Wandelanleihe (Convertible) als aktienrechtlichem Finanzierungsinstrument hat sich gleichberechtigt die sog. Umtauschanleihe (Exchangeable) etabliert. Hierbei handelt es sich um eine Anleihe, die ein Wandelrecht auf im Besitz des Emittenten befindliche Aktien eines anderen Unternehmens verbrieft. Die Umtauschanleihe stellt somit ein attraktives Instrument für die mittelbare Plazierung von Aktienpaketen dar.
Ebenfalls um eine Finanzinnovation auf der Grundlage einer embedded option handelt es sich bei Anleihen, die dem Emittenten um den Preis eines höheren Coupons ein Wahlrecht zur Tilgung entweder durch Zahlung des Nominalbetrages oder durch Lieferung einer vorab fest bestimmten Anzahl von Aktien (Reverse Convertible) einräumt. Solche Reverse Convertibles erfreuen sich insbesondere in Zeiten niedriger Zinssätze starker Nachfrage sowohl seitens institutioneller als auch privater Anleger. Noch einen innovaten Schritt weiter gehen Reverse Convertibles, denen zwei unterschiedliche Aktien zugrunde liegen (Two-Asset Reverse Convertible). Ein solches doppeltes Wahlrecht des Emittenten wird dem Anleger als Ausgleich für sein erhöhtes Andienungsrisiko über einen noch höheren Kupon vergütet.
3. Corporate Finance
Corporate Finance beinhaltet alle jene Fragestellungen, die von grundlegender Bedeutung für die finanzwirtschaftliche Sphäre des Unternehmens sind. Hierzu zählen insbesondere jene Entscheidungen, die den Kapitalmarkt berühren. Financial Engineering im Bereich Corporate Finance geht über die operative Dimension im Treasury Management hinaus, indem es als Technik zur Lösung strategischer Problemstellungen dient. Fragestellungen, wie die Gründung von Captives oder die steuerinduzierte Gründung von offshore-Finanzierungsgesellschaften, sollen an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Der Focus soll vielmehr auf solchen Aspekten liegen, die sich aus dem Verständnis der modernen Finanzierungstheorie in der von Modigliani – Miller begründeten Tradition ableiten. Danach ist das Unternehmen als ein Nexus von Finanzkontrakten zu interpretieren, die festlegen, in welcher Form die leistungswirtschaftlich determinierten Cash Flows des Unternehmens an seine einzelnen Kapitalgeber weitergeleitet werden (Zwirner, T. 1989). Um eine in diesem Sinne überaus bemerkenswerte konzeptionelle Innovation handelt es sich bei den 1988 von Shearson Lehmann Hutton propagierten Unbundled Units. Den Unbundled Units liegt die revolutionäre Vorstellung zugrunde, eine Aktie durch Stripping in ihre elementaren Teilrechte zu zerlegen und jene Teilrechte einzeln verbrieft handelbar zu machen. Diese Teilrechte umfassen das Recht auf die Substanz, das Recht auf das zukünftige Dividendenwachstum und das Recht auf den zukünftigen Kapitalgewinn der Aktie. Davon ausgehend, dass es unterschiedliche Klienteln von Investoren mit unterschiedlichen Präferenzen für die einzelnen Teilrechte gibt, darf vermutet werden, dass die Summe der Teilrechte (zumindest in unvollständigen Märkten) einen höheren Martkwert hat als die ursprüngliche Aktie. Konkret wurde das Konzept dergestalt umgesetzt, dass jede eingezogene Aktie in folgende Instrumente zerlegt wurde: (1) Ein Bond mit fester Laufzeit T, Nennbetrag B und einem Coupon in Höhe der derzeitigen Dividende D der Aktie. (2) Eine Europäische Call Option auf die Aktie mit Laufzeit T und Ausübungspreis B. (3) Ein Optionsrecht auf zukünftiges Dividendenwachstum. Dieses Optionsrecht zahlt jährlich die Differenz aus, um die die jeweilige Dividende die ursprüngliche Dividende D übertrifft. Auch wenn sich die Unbundled Units in der Praxis bislang noch nicht entscheidend durchsetzen konnten, geben sie eine eindrucksvolle Vorstellung von den vielfältigen Möglichkeiten des Financial Engineering.
Durchgesetzt haben sich im Unterschied zu den Unbundled Units in kürzester Zeit am amerikanischen Aktienmarkt die sogenannten Tracking Stocks. Im Unterschied zu den konventionellen Spin-offs, bei denen ein Konzernunternehmen gesellschaftsrechtlich verselbständigt und an den Kapitalmarkt geführt wird, handelt es sich bei Tracking Stocks um Titel, über die ihr Inhaber am Ergebnis einer bestimmten Unternehmenssparte teilhat, ohne dass für diese Sparte eine rechtlich selbständige Einheit gebildet wird. Die Inhaber der Tracking Stocks bleiben folglich Aktionäre des Gesamtunternehmens – mit dem Unterschied, dass sich ihr Gewinnanteil und Liquiditätsanteil nur auf die dem Tracking Stock zugrunde liegenden Sparte bezieht.
In der Diskussion um die optimale Gestaltung der Kapitalstruktur ist in den letzten Jahren sowohl in der Theorie als auch in der Praxis die agencytheoretische Betrachtung in den Vordergrund getreten. Die Agency-Problematik besteht in diesem Kontext darin, dass bei gegebener Kapitalstruktur Investitions- oder Finanzierungsentscheidungen des Managements zu einem bedeutenden Vermögenstransfer zu Lasten der Gläubiger führen können. Nicht zuletzt ausgelöst durch die Welle der Leveraged Buyouts (LBO) in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre mit ihren teilweise drastischen Konsequenzen für die Gläubiger, deren Forderungen von ursprünglich bester Bonität mitunter über Nacht zur Junk Bonds degradiert wurden, begann man über Mechanismen zur Lösung dieser Interessenkonflikte nachzudenken. Diese Überlegungen vollzogen sich unter zwei Aspekten. Zum einen die Frage, in welcher Weise Gläubigertitel zu konzipieren sind, um die Konsequenzen von Agency-Konflikten zu mildern. Zum zweiten die Frage, in welcher Weise die Kapitalstruktur von riskant finanzierten Unternehmen, für die sich damit die Agency-Problematik mit besonderer Brisanz stellt, ex ante optimal zu gestalten ist. Als optimal ist in diesem Zusammenhang eine Finanzierungsstruktur zu bezeichnen, die das Potential für Interessenkonflikte minimiert und damit den Marktwert des Unternehmens maximiert. Beide Problemkreise führten im Laufe der Zeit zu einem beachtlichen Spektrum neuer Finanzierungsinstrumente.
Zunächst zur Fragestellung der Immunisierung von Gläubigertiteln gegen die Folgen von Agency-Konflikten. Instrumente, die das Financial Engineering in diesem Sinne als eine extensive Weiterentwicklung der traditionellen Gläubigerschutzklauseln hervorgebracht hat, sind unter anderen Puttable Bonds und Credit Sensitive Notes. Im Falle der Puttable Bonds haben die Gläubiger das Recht, die Bonds bei Eintreten bestimmter Ereignisse, etwa eines Takeover, sofort zu kündigen, was zugleich eine Art Poison Pill darstellt. Bei den Credit Sensitive Notes wird der Gläubigerschutz dadurch erreicht, dass die Verzinsung der Notes variabel an das Rating des Emittenten gebunden ist.
Die vorgenannten Instrumente beruhen auf Mechanismen, die letzten Endes immer nur auf einen eingetretenen Interessenkonflikt reagieren. Erstrebenswert sind hingegen präventive Mechanismen, die ex ante Interessenkonflikte möglichst weitgehend ausschalten. Erreicht werden kann dieses Ziel über eine Kapitalstruktur mit Finanzierungsinstrumenten, die in ihrer Risikocharakteristik derart fein differenziert sind, dass sie den Risikopräferenzen der Investoren entsprechend eine möglichst optimale Risikoallokation ermöglichen. Angeordnet nach ihrem Risikograd enthält eine solche Kapitalstruktur Aktien, streng subordiniertes Fremdkapital, subordiniertes Fremdkapital, unbesichertes Fremdkapital und besichertes Fremdkapital. Das als Mezzanine bezeichnete Spektrum zwischen Aktien und besichertem Fremdkapital hat in unterschiedlichen Varianten, insbesondere unter der Einbindung von Optionsrechten, bei der Finanzierung von Leveraged Buyouts eine bedeutende Rolle gespielt (Scott-Quinn, B. 1990).
4. Projektfinanzierung
Im deutschen Schrifttum wird Financial Engineering in erster Linie mit der Projektfinanzierung in Verbindung gebracht. Ausgangspunkt sind hierbei komplexe, schlecht strukturierte Finanzierungsprobleme. In diesem Kontext versteht sich Financial Engineering als methodische Planung und Gestaltung maßgeschneiderter Finanzierungskonzepte. Denn gerade in der Projektfinanzierung sind innovative und kreative Problemlösungen unerlässlich, da komplexe Projekte zumeist nicht in die Schemata der traditionellen Projektfinanzierung passen. So kommt bei Fragestellungen der Projektfinanzierung dem Financial Engineering die Aufgabe zu, die auf die charakteristische Cashflow Struktur des jeweiligen Projektes abstellen. Insbesondere im Anlagenbau, der sich durch hohe Projektvolumina und Projektrisiken auszeichnet, ist die Sicherstellung des zugehörigen Finanzierungskonzeptes inzwischen zur unabdingbaren Voraussetzung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit geworden und hat sich zu einem bedeutenden Marketinginstrument entwickelt. In diesem Sinne ist die Entwicklung individueller Finanzierungslösungen Ausdruck der zunehmenden Interdependenz der finanzwirtschaftlichen und leistungswirtschaftlichen Sphäre (Bauer, J. 1988).
Individuelle Problemlösungen zur Finanzierung komplexer Projekte beinhalten nicht nur die Entwicklung und Gestaltung von Finanzierungskonzepten, sondern auch die notwendige finanzwirtschaftliche Beratung zur Durchführung dieser Projekte. Insofern beinhaltet Financial Engineering gleichermaßen eine Gestaltungsleistung wie eine Beratungsleistung (Bauer, J. 1988). Auch im Bankenbereich hat sich Financial Engineering als qualitativ umfassende Dienstleistung insbesondere für den Mittelstand mit seinem Beratungsbedarf etabliert und ist zu einer aktiven Komponente des Beratungsangebots geworden (Swoboda, U. 1992).
5. Asset Management
Im Asset Management versteht sich Financial Engineering als die zielgerichtete Transformation von Risiko-Rendite-Charakteristiken. Für eine solche Transformation spielen derivative Instrumente eine entscheidende Rolle, sei es nun bei der Immunisierung von Portefeuilles oder bei der Steuerung der Asset Allocation. Der Einsatz der derivativen Instrumente erfolgt in der Overlay-Technik. Das zugrunde liegende Portefeuille bleibt hierbei in seiner Struktur vollkommen unberührt. Die Transformation der Portfoliocharakteristik wird ausschließlich über entsprechende übergelagerte Transaktionen in derivativen Instrumenten erreicht. Liquide Märkte in den jeweiligen derivativen Instrumenten und bedeutende Transaktionskostenvorteile machen diese Overlay-Technik zu einem effizienten Mechanismus der Portfoliosteuerung. Während bei Aktienportefeuilles Aspekte des Markt Timing und der Asset Allocation im Vordergrund stehen, dienen die derivativen Instrumente bei Rentenportefeuilles der Steuerung von Duration und Konvexität sowie der Implementierung darauf basierender Immunisierungsstrategien. Noch einen Schritt weiter in diesem Sinne gehen Equity Swaps und der Handel mit Baskets oder sogar ganzen Portfolios.
Financial Engineering ist überdies eine wichtige Technik bei der Entwicklung eines differenzierten Spektrums von Fondsprodukten, die den unterschiedlichen individuellen Präferenzen der Investoren gerecht werden sollen. Ein Typ von Fondsprodukten, der beachtliche Plazierungserfolge zu verzeichnen hatte, sind die sogenannten Garantiefonds in ihren verschiedenen Spielarten. Es handelt sich dabei um Laufzeitfonds, die dem Investor bei Auflegung des Fonds seinen Kapitaleinsatz bezogen auf einen festgelegten Zeithorizont garantieren, zugleich aber eine nach oben unbegrenzte Performance ermöglichen. Die Fondsgesellschaft sichert diese Kapitalgarantie dergestalt ab, dass bei Auflegung des Fonds ein Teil des Fondsvermögens in Zero-Bonds investiert wird. Der Nominalbetrag dieser Zerobonds, die die gleiche Laufzeit wie der Fonds aufweisen, entspricht exakt dem per Laufzeitende garantierten Fondsvermögen. Der verbleibende Teil des Fondsvermögens wird in derivative Instrumente investiert. Da eine typische Variante darin besteht, 90% des Fondsvermögens in Zerobonds und 10% in derivative Instrumente zu investieren, werden solche Fonds als 90/10-Produkte bezeichnet. Auch bei Versicherungsunternehmen, die die Bedeutung der Kapitalanlagenrendite als strategischen Wettbewerbsfaktor zu erkennen beginnen, gewinnen Portfolioprodukte mit Performancegarantie zunehmend an Bedeutung.
V. Entwicklungstendenzen
Arbitrageprozesse, der Tend zur Verbriefung und Handelbarkeit isolierter Risiken sowie verschiedene Marktunvollkommenheiten generieren die entscheidenden Impulse für das Financial Engineering. Mit der Überwindung von Marktunvollkommenheiten leistet Financial Engineering einen bedeutenden Beitrag zur Kapitalmarkteffizienz. Angesichts der Sensibilität und Mobilität internationaler Kapitalströme im Zeitalter der globalen Kommunikation trifft Adam Smith\'s Vorstellung von der unsichtbaren Hand auf die heutigen Finanzmärkte in nahezu idealtypischer Art und Weise zu. Financial Engineering und die ihm zugrunde liegenden Arbitrageprozesse mit der ihnen eigenen Dynamik sind zu einer charakteristischen Facette dieser Finanzmärkte geworden.
Die Anforderungen an die erfolgreichen Banken werden zunehmen. Financial Engineering birgt seinen eigenen Darwinismus. In der Vergangenheit noch erfolgreiche Konzepte der Finanzintermediation werden zugunsten neuer Konzepte in der Hintergrund gedrängt werden. In einer Zeit, in der Lean Management und Outsourcing zur Philosophie im Produktionsbereich der Industrie erhoben werden, wird der Finanzbereich tendenziell die entgegengesetzte Entwicklung nehmen. Die Finanzabteilungen der Konzerne werden expandieren und im Zuge der Disintermediation die Banken als traditionelle Intermediäre in manchen Bereichen ausschalten. Umgekehrt erschließt sich den Banken mit dem wachsenden Bedarf an individuellen Lösungen für komplexe Finanzierungsprobleme ein wachstumsträchtiges Geschäftsfeld. Hierbei wird im Leistungspaket Financial Engineering die kreative Beratungsleistung tendenziell einen höheren Stellenwert einnehmen als die eigentliche Finanzierungsleistung.
Globalisierung und Securitization werden ungebrochen voranschreiten. Die Börsen werden entsprechend an Bedeutung gewinnen. Der Trend zur Handelbarkeit isolierter Risiken wird sich weiter fortsetzen. Die Produktentwicklungszyklen werden abnehmen und Innovationen immer schneller das Stadium des Commodity erreichen. Zugleich wird Financial Engineering verstärkt als Transmissionsmechanismus integrativ zwischen verschiedenen Anwendungsfeldern wirken und hierbei für alle Beteiligten mehr denn je zum strategischen Erfolgsfaktor werden.
Literatur:
Bauer, J. : Grundlagen eines Financial Engineering, Idstein 1988
Braddock, J.C. : Derivatives Demystified: Using Structured Financial Products, New York 1997
Hampel, W./Hammer, H. : Financial Engineering – Versuch einer Begriffsdefinition, in: Finanzielle Führung, Finanzinnovationen & Financial Engineering, uvsg. hrsg. von Siegwart, H./Mahari, J./Abresh, M., Stuttgart, Zürich, Wien 1994, S. 778 – 788
Eckl, S./Robinson, J.N./Thomas, D.C. : Financial Engineering, Oxford 1990
Monroe, A. : How Derivatives are Changing Finance,in: Global Finance, 11/1992, S. 42 – 46
Perridon, L./Steiner, M. : Finanzwirtschaft der Unternehmung, 10. A., München 1999
Schierenbeck, H./Hölscher, R. : Bank Assurance, 3. A., Stuttgart 1993
Scott-Quinn, B. : Investment Banking: Theory and Practice, London 1990
Siegert, T. : Anforderungen großer Unternehmen an die Bank des Jahres 2000, in: Bankstrategie 2000, hrsg. v. Lüthje, B., Verband öffentlicher Banken, Bonn 1993, S. 147 – 175
Smith, C.W./Smithson, C.W./Wilford, D.S. : Managing Financial Risk, New York 1989
Süchting, J. : Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten, in: Finanzierungshandbuch, 2. A., hrsg. v. Christians, F.W., Wiesbaden 1988, S. 145 – 158
Swoboda, U. : Financial Engineering, Wiesbaden 1992
Zwirner, T. : Devisenkursrisiko, Unternehmen und Kapitalmarkt, Wiesbaden 1989
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